AZRAEL
hart mit zwei Reifen gegen den Bordstein auf der anderen Straßenseite. Bremer rannte weiter, ohne es zu beachten, taumelte um die Ecke -
und tat einen Blick in die Hölle.
Die schäbige Straße und die Mauern rechts und links waren verschwunden, ebenso wie der Himmel, die Erde, das Universum. Vor ihm loderte eine gewaltige Feuersbrunst, die die Welt von einem Ende zum anderen verschlungen hatte, und inmitten dieser höllischen Glut, hochaufgerichtet und riesig und unvorstellbar drohend, stand der Todesengel. Bremer sah ihn nur als Schattenriß, denn das grelle Licht, das hier millio n enmal intensiver war als draußen auf der Straße, blendete seine Augen und fraß sich wie glühende Säure an seinen Sehnerven entlang bis tief in sein Gehirn, um sich für den Rest seines Lebens darin einzubrennen, aber er wußte trotzdem, daß er es war, der Schatten aus dem Wagen, das Ding, das ihn im Treppenhaus verfolgt, ihm von dem Foto aus Mogrods Dunkelkammer zugewinkt hatte, aber es war jetzt kein Schatten mehr, keine Vision, sondern real und tödlich, ein Gigant mit Klauen und Zähnen, einer schimmernden schwarzen Haut aus Stahl und einem Paar gewaltiger schwarzer Flügel, die sich noch weit über seinen Körper erhoben. Er stand dem Herrn der Hölle gegenüber, keinem Engel, sondern dem Teufel selbst - aber wo war der Unterschied? -, der gigantisch und drohend vor dem Tor zu seinem Reich stand und auf ihn gewartet hatte. Er hatte die Warnung nicht verstanden, die die Visionen bedeutet hatten, und jetzt war es zu spät.
Bremer stand da wie gelähmt. Er hätte in die Flammen hineinrennen müssen, aber die gleiche unheimliche Kraft, die ihn angezogen hatte, hielt ihn nun zurück und paralysierte ihn zugleich. Er konnte sich nicht bewegen. Nicht denken. Nicht einmal schreien. Er stand hilflos da und starrte auf den schwarzen Koloß, und etwas in ihm starb, während er den Blick der unsichtbaren, grausamen Augen auf sich ruhen fühlte. Es war kaum spürbar, ganz schwach nur, aber er fühlte, wie etwas in ihn hineingriff und einen Teil dessen, was sein Menschsein ausmachte, einfach zermalmte. Es dauerte nur eine Sekunde, aber Bremer war nicht mehr derselbe, als sich die schwarze Schattenhand zurückzog und seine Seele wieder freigab. Und dann, im gleichen Augenblick, erlosch die Vision. Die Lähmung fiel von ihm ab, und im selben Moment wurde die Welt wieder das, was sie gewesen war, ehe sich vor seinen Augen die Tore zur Hölle geöffnet hatten. Der Wahnsinn zog sich - vielleicht ein allerletztes Mal nur noch - zurück und schleuderte ihn in eine andere, kaum weniger schlimme Hölle, die Hier hieß.
Bremer taumelte. Plötzlich spürte er die furchtbare Hitze, die ihm ins Gesicht schlug und seine Haut und seine Augenbrauen versengte. Der Schmerz, den er gerade vermißt hatte - der körperliche Schmerz - , kam nun im Übermaß. Er schrie, prallte gegen eine Wand und riß instinktiv die Hände vor das Gesicht. Trotzdem sah er jedes noch so brutale Detail des Bildes vor sich, wie es wirklich war, und es war keine Erleichterung, denn auf seine Art war es schlimmer als das, was er nur zu sehen geglaubt hatte.
Die Straße war eine Sackgasse, kaum zwanzig Meter lang, und in gewisser Hinsicht ZDU sie zu einem Teil der Hölle geworden, einer Hölle aus Feuer und ineinander gerammtem Stahl, aus Schreien und verstümmelten Körpern. Einer der beiden BMW sah aus, als wäre er in voller Fahrt gegen die Wand geprallt und daran zerborsten, und wahrscheinlich war er in Flammen aufgegangen, als sich der nachfolgende Wagen in ihn hineingebohrt hatte. Die Flammen bildeten eine zweite, geschlossene Mauer vor der Rückwand der Gasse, und die Hitze war selbst hier noch, zwanzig Meter entfernt, so gewaltig, daß Bremer kaum atmen konnte. Brennendes Benzin bildete Dutzende von kleinen und großen Lachen und war gegen die Wände gespritzt, und an mindestens einer Stelle hatte sich das Feuer bereits durch ein Fenster gefressen und setzten sein Vernichtungswerk im Inneren des Gebäudes fort. Überall lagen glühende Metall- und Kunststoffsplitter.
»Bremer! Der Junge!«
Die Worte erschienen ihm seltsam bedeutungslos. Er hörte und verstand sie, aber sie schienen zu einer Sprache zu gehören, die er irgendwann einmal gelernt und längst wieder vergessen hatte. Mühsam drehte er den Kopf und sah eine Gestalt aus einem blutroten Wagen springen und mit fast grotesken Bewegungen auf ihn zueilen, aber es war mit ihr wie mit dem, was sie ihm zuschrie: Er
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