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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht in Ordnung, und ruft erst recht die Polizei.«
    Sillmann sah ihn kopfschüttelnd an. » Ihre Sorgen möchte ich haben, Doktor.«
    Das glaube ich kaum, dachte Petri. Oder vielleicht doch. Er wußte nicht wirklich, was in Sillmann vorging, aber immerhin kannte er ihn gut genug, um zu wissen, daß er nicht annähernd so hart war, wie er sich gerne gab. Er hatte diese Rolle so lange gespielt, daß er wohl irgendwann einmal begonnen hatte, selbst daran zu glauben. Aber es war nicht die Wahrheit.
    »Ich dachte nur daran, daß Sie gerade noch so großen Wert darauf gelegt haben, möglichst schnell anzukommen«, sagte er. »Wenn jeder Streifenwagen in der Stadt unsere Nummer kennt und danach Ausschau hält -«
    »- ändert das auch nichts mehr«, fiel ihm Sillmann ins Wort. »Wir sind gleich da.« Er sah wieder in den Rückspiegel, schaltete das Radio aus, wieder ein und gleich darauf wieder aus und hielt zum ersten Mal seit Beginn der Fahrt an einer Kreuzung an, um eine Lücke im Verkehr abzupassen. Er hatte recht - sie hatten die Fabrik beinahe erreicht. Sie lag...
    Ganz in der Nähe, dachte Petri nervös. Was war mit seinem Gedächtnis los? Er war diesen Weg unzählige Male gefahren, und doch hatte er Mühe, sich daran zu erinnern. Sie waren nicht mehr weit entfernt, aber er konnte einfach nicht sagen, ob sie nun an der nächsten, der darauffolgenden oder erst der fünften oder sechsten Kreuzung abbiegen mußten.
    Es war die nächste Abzweigung. Der Mercedes verließ die Hauptstraße und rollte eine von Pappeln gesäumte Zufahrt hinauf, die besser zu einem Gutshof oder einer großen Gärtnerei gepaßt hätte als zu einer pharmazeutischen Fabrik. Vor mehr als einem Menschenalter war es auch tatsächlich einmal ein großes Landgut gewesen, und Sillmann hatte stets Wert darauf gelegt, diesen äußeren Schein zu wahren. Hinter dem schmiedeeisernen Zaun, der das gesamte Areal umgab, erhoben sich noch immer die sorgsam restaurierten Originalgebäude aus dem vergangenen Jahrhundert. Die drei zusätzlichen Fabrikationshallen, die Sillmann hatte errichten lassen, duckten sich so geschickt hinter der ehemaligen Scheune und dem dreistöckigen Wohnhaus, das nun die Verwaltung und den Labortrakt beherbergte, daß sie von der Straße aus vollkommen unsichtbar blieben. Ein dichtstehender Ring aus fünfzehn Meter hohen Bäumen unmittelbar hinter dem Zaun schützte das Gelände zusätzlich vor neugierigen Blicken, und Petri wußte auch, daß es noch eine dritte, unsichtbare elektronische Barriere gab, die es so gut wie unmöglich machte, die Fabrik unbemerkt zu betreten. Früher einmal hatte er sich über diesen - seiner Meinung nach übertriebenen - Sicherheitstick Sillmanns lustig gemacht, aber die Zeit hatte Sillmann recht gegeben. Es war seit einigen Jahren nicht mehr in, sein Geld mit Chemie zu verdienen. Nicht einmal mit pharmazeutischer Chemie.
    Aber eigentlich wußte er nicht einmal genau, was Sillmann hier produzierte. Er hatte es einmal gewußt, aber aus irgendeinem Grund hatte er es vergessen.
    Die Erkenntnis ließ die schwelende Panik in ihm für einen Moment nun doch zu heißer Glut aufflackern. Es war völlig absurd: Er war Arzt, er hatte zahllosen Patienten genau die Medikamente verschrieben, die in dieser Fabrik hergestellt wurden - und er konnte sich nicht mehr erinnern, welche es waren.
    Sillmann bremste den Wagen unnötig hart ab, als sie das Tor erreichten. In der Pförtnerloge neben dem geschlossenen Stahlgitter bewegte sich ein Schatten, und einen Moment später flammte über ihnen ein Scheinwerfer auf, der einen kreisförmigen Bereich unmittelbar vor dem Tor in weiße Helligkeit tauchte. Petri schloß geblendet für eine Sekunde die Augen.
    Ein metallisches Summen und Rumpeln erklang, als das Tor gerade so weit auffuhr, um den Pförtner hindurchzula s sen. Sillmann senkte die Fensterscheibe auf seiner Seite und wedelte ungeduldig mit der linken Hand. »Machen Sie auf, Bruno«, sagte er. »Wir haben es eilig!«
    Der Pförtner, der die dünkelblaue Phantasieuniform einer Wach- und Schließgesellschaft trug und ganz so aussah, als hätten sie ihn grob aus seiner ersten Tiefschlafphase geweckt, kam näher und hob zusätzlich eine Taschenlampe, um in den Wagen zu leuchten.
    »Herr... Sillmann?« fragte er verblüfft. Er klang verschlafen. Selbst die Überraschung in seiner Stimme war in Wahrheit wohl eher Erschrecken.
    »Verflucht, nehmen Sie diese Scheiß-Lampe herunter«, schnappte Sillmann. »Was ist los? Haben

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