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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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antwortete Bremer, »aber der Tote - Löbach... Auf seiner Brust waren Schnittwunden. Der Arzt hat mich darauf aufmerksam gemacht. Es sah fast aus, als hätte er versucht, sich etwas in die Brust zu ritzen. Ich konnte es nicht entziffern, aber es könnte dasselbe Wort gewesen sein.«
    »Azrael...« Sendig wandte seine Aufmerksamkeit wieder den blutigen Buchstaben auf der Wand zu und schüttelte abermals den Kopf, »Irgendwoher kenne ich dieses Wort. Ich weiß nicht mehr genau, woher, aber ich habe es schon einmal gehört.«
    Bremer erging es übrigens ebenso. Aber auch er konnte nicht sagen, wieso ihm dieser Begriff bekannt vorkam. Er wollte auch nicht darüber nachdenken. Er fühlte sich... wie erschlagen. Bisher war alles, was sie gefunden hatten, bizarr und vielleicht ein bißchen unheimlich gewesen, aber ihre grausige Entdeckung rückte die ganze Geschichte in ein vielleicht nicht neues, aber doch anderes Licht. Sie gab dem Entsetzen über Löbachs Tat eine Tiefe, die es bisher trotz allem nicht gehabt hatte. Ganz plötzlich und nur für ein paar Sekunden, in dieser Zeit aber sehr intensiv, haßte er Löbach. Er hatte diesen Mann nicht einmal gekannt, und er verdiente wohl sehr viel eher sein Mitleid als seinen Zorn, aber er hatte ihn gezwungen, sich einer Facette der menschlichen Psyche zu stellen, die er in dieser Ausprägung bisher weder gekannt hatte, noch jemals hatte kennenlernen wollen. Und dafür haßte er ihn. Dann wurde ihm klar, wie ungerecht dieses Gefühl war, und sein schlechtes Gewissen nahm die Stelle des Hasses ein, allerdings war es auch nicht viel leichter zu ertragen.
    Vielleicht half ja Normalität, um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Mit einer bewußten Anstrengung löste er seinen Blick von der Blutschrift an der Wand und sah sich aufmerksam in der kleinen Küche um. Er wurde fast sofort fündig. Wäre er nicht so schockiert gewesen, dann hätte er es wohl noch viel eher bemerkt.
    »Dort!« Bremer deutete auf ein blutiges Steakmesser, das auf der Arbeitsplatte lag. Eine dünne rote Spur führte von dort aus zur Wand unter der Schrift und in der anderen Richtung hinaus ins Wohnzimmer. »Damit hat er es wohl getan.«
    »Wahrscheinlich. Und er war sogar ordentlich genug, das Messer wieder zurückzulegen, ehe er hinausgegangen ist, um sich vom Balkon zu stürzen.« Sendig zog eine Grimasse. »Völlig verrückt. Das ist wohl eher ein Fall für die Psychiater als für uns.«
    Und w as tust du dann hier? dachte Bremer. Er hütete sich, das laut auszusprechen, aber es mußte entweder deutlich in seinem Gesicht geschrieben stehen, oder Sendig hatte begriffen, welche Frage er mit seinen Worten implizierte, denn er uhr nach einem kurzen Moment unaufgefordert fort: »Ich kannte Löbach, wissen Sie. Ich hatte schon einmal mit ihm zu tun, wenn auch nur indirekt. Sie übrigens auch.«
    »Ich?«
    Sendig nickte. »Sillmann«, sagte er. »Na, klingelt's jetzt? Die Geschichte vor sechs Jahren, in die er verwickelt war. Erinnern Sie sich?«
    Ob er sich erinnerte? dachte Bremer. Sollte das ein Witz sein? Niemand, der auch nur am Rande mit dieser Geschichte, wie Sendig es genannt hatte, in Berührung gekommen war, würde sie jemals wieder vergessen. Es hatte ein paar Tote zuviel gegeben, und ein paar Antworten zuwenig. Außerdem hatte er damals Sendig kennengelernt.
    »Ich erinnere mich«, sagte er. »Aber was - «
    »Löbach arbeitet als Chemiker für die Sillmann-Werke«, fiel ihm Sendig ins Wort. »Wenigstens hat er das getan. Wenn ich mich allerdings hier so umsehe, frage ich mich, ob er überhaupt noch irgendwo arbeitete.«
    »Die Leute hier im Haus sagen, daß er viel auf Reisen gewesen ist und offenbar Geld hatte.« Bremer warf einen übertrieben stirnrunzelnden Blick in die Runde. »Auch wenn es hier nicht so aussieht.«
    »Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse«, sagte Sendig. »Ich kenne die Gegend hier. Dieses Apartment dürfte im Monat mehr Miete kosten, als Sie verdienen.«
    »Kein Wunder, daß nichts mehr für eine Putzfrau übrigblieb.«
    Sendig lachte, aber es wirkte nicht besonders amüsiert. Vielleicht lag das auch an ihrer Umgebung. Löbach hatte sich mit Erfolg Mühe gegeben, diese Wohnung in einen Ort zu
    verwandeln, an dem jede Äußerung menschlichen Lebens - und ein Lachen vor allem - deplaciert wirkte. Der Laut durchbrach die Dunkelheit nicht, die sie umgab, sondern schien sie im Gegenteil zu betonen, und er ließ etwas wie einen schlechten Nachgeschmack zurück.
    Sendig räusperte sich

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