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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht sehr alt. Allerhöchstens zwei, drei Tage, schätze ich. Es würde mich nicht wundern, wenn das Labor herausfindet, daß er diese ganze Verwüstung hier erst in den letzten Tagen angerichtet hat.«
    Er ließ sich in die Hocke sinken und öffnete die Kühlschranktür. Auf den drei gläsernen Borden lagen ein paar vergammelte Lebensmittel - und eine Anzahl kleiner, durchsichtiger Plastikbeutel, die eine körnige weiße Substanz enthielten. Der Marzipangeruch entströmte eindeutig einem dieser Beutel, der aufgeschnitten und nicht besonders sorgfältig verschlossen worden war.
    »Was ist das?« Bremer ließ sich neben Sendig in die Hocke sinken und verhielt sich, nicht zum ersten Mal an diesem Abend, nicht besonders professionell, denn er wollte die Hand nach einem der Beutel ausstrecken, aber Sendig hielt ihn zurück.
    »Um Gottes willen, nicht anrühren!« sagte Sendig - nein, er keuchte es. Seine Finger umschlossen Bremers Handgelenk so fest, daß es weh tat. Schon im nächsten Moment hatte er sich wieder unter Kontrolle; er ließ Bremers Arm los und lächelte nervös.
    »Tut mir leid«, sagte er.
    »Aber was ist denn los?« fragte Bremer. Er rieb sich gedankenverloren das Handgelenk. Sendig hatte mit aller Gewalt zugegriffen. Er konnte jeden einzelnen seiner Finger noch immer auf der Haut spüren. »Was ist das für ein Zeug?«
    »Woher soll ich das wissen?« fragte Sendig mit einer Stimme, in der schon wieder eine deutliche Spur der gewohnten Unfreundlichkeit mitschwang. »Ich wollte nicht, daß Sie es anfassen, das ist alles. Haben Sie Handschuhe dabei?«
    Bremer zog ein Paar zusammengerollter Einmalhandschuhe aus der Jackentasche und reichte Sendig unaufgefordert noch eine Plastiktüte mit Clipverschluß. Sendig praktizierte die kleinen Kunststoffbeutelchen so vorsichtig hinein, daß er seiner Behauptung, nichts über ihren Inhalt zu wissen, damit auch noch den letzten Rest von Glaubwürdigkeit nahm. Er verschloß die Tüte pedantisch, verstaute sie in der Manteltasche und schob die Kühlschranktür zu, ehe er aufstand.
    »Aber Sie wissen nicht, was das für ein Zeug ist, wie?« fragte Bremer spöttisch. Sowohl die Frage als auch erst recht der Ton, in dem er sie stellte, wären unter normalen Umständen eine glatte Unverschämtheit gewesen. Aber das hier war nun einmal nicht normal - und Sendig war entweder viel zu perplex über seinen unerhörten Ton oder selbst zu schockiert, um entsprechend darauf zu reagieren. Er sah Bremer nur einen Moment nachdenklich an, dann sagte er kühl: »Nein, ich weiß tatsächlich nicht, um welche Substanz es sich handelt, Herr Polizeiobermeister. Ich halte es nur für prinzipiell angeraten, vorsichtig zu sein.«
    »Bitte entschuldigen Sie«, sagte Bremer, »ich wollte nicht -«
    Sendig winkte ab. »Schon gut. Wir sind wohl beide ein bißchen nervös, schätze ich. Das beste wird sein, wir bringen das Zeug morgen früh ins Labor und überlassen es denen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, die dafür bezahlt werden.«
    Bremer sagte nichts mehr. Er gestattete sich nicht einmal, sich zu ärgern. Er war hier mit Sendig zusammen, der wohl nicht ganz umsonst einen gewissen Ruf besaß. Was hatte er erwartet?

    6. Kapitel
    E r war schließlich doch noch eingenickt und wurde erst wach, als der Zug die Endstation erreichte. Seine vielleicht etwas vorschnell gefaßte Meinung über den Kellner revidierte er in Form eines Zehnmarkscheines, den er als Trinkgeld neben seiner Tasse zurückließ; immerhin hatte der Mann ihn schlafen lassen, obwohl dies der Speisewagen und er gerade zur Frühstückszeit sicher knapp an Plätzen war. Und das war ganz und gar nicht selbstverständlich.
    Marks Traum war nicht wiedergekommen, was ihn einigermaßen beruhigte. Es war wohl doch nur ein Traum gewesen, ein ganz besonders scheußlicher Traum vielleicht, aber trotzdem nicht mehr. Was erwartete er nach einer Nacht wie der, die hinter ihm lag? Streß, Aufregung, Furcht, dazu kam, daß er seit annähernd vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte, so daß sein Blutzuckerspiegel gegen Null tendieren mußte... Er hatte sich ja geradezu darauf programmiert, Alpträume zu haben!
    Mark verließ als einer der letzten Fahrgäste den Zug und eilte zu den Taxiständen vor dem Bahnhof. Es gab noch einmal eine kurze peinliche Erinnerung an die vergangene Nacht, als er die Frau aus seinem Abteil wiedersah, die behauptet hatte, bei der nächsten Station aussteigen zu müssen. Aber Mark war diplomatisch genug, so zu

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