AZRAEL
guillotiniert von einem abgebrochenen Propellerflügel. Tod und Katastrophen waren sein Metier gewesen.
Keines dieser Bilder ließ an Grausamkeit zu wünschen übrig, aber sie alle verblaßten neben dem Bild gleich neben der Tür. Es war nicht sonderlich scharf, und nicht einmal richtig belichtet, aber es war trotzdem das Glanzstück seiner Sammlung. Es zeigte eine junge Frau, farbig und mit zerrissenen Kleidern, die vor einem Panzer russischer Bauart davonlief. Ihre Füße waren nackt und hinterließen blutige Abdrücke auf dem Pflaster, und obwohl das Gesicht ebenso unscharf war wie der Rest der Aufnahme, konnte man die nackte Todesangst in ihren Augen doch deutlich erkennen. Der Panzer war noch fünf Meter hinter ihr und stand ein wenig schräg, weil er gerade über einen Wagen hinweggerollt war, der am Straßenrand stand, die Mündung des Kanonenrohres deutete genau in die K amera. Trotz der schlechten Aufn ahmequalität hatte das Foto eine unglaubliche Dynamik. Man konnte die Geschwindigkeit, mit der der Hun dert-Tonnen-Koloß heran raste, geradezu sehen. Er hatte das Bild während der Schlacht um Aden aufgenommen, und er hätte es beinahe mit dem Leben bezahlt. Der Panzer hatte die Frau nicht erwischt, aber um ein Haar hätte er Mogrod überrollt. Er hatte sich im buchstäblich allerletzten Moment mit einem Satz in Sicherheit gebracht, wobei er gestürzt und die Kamera zu Bruch gegangen war. Der Film war verdorben, aber eine Laune des Zufalls hatte dafür gesorgt, daß ausgerechnet dieses eine Negativ noch zu gebrauchen gewesen war. Mogrod hatte Stunden in einem stinkenden Kellerloch zugebracht und darauf gewartet, daß ein Gesicht über dem Eingang erschien und ein Schuß fiel, der seinem Leben ein Ende setzte. Es war nicht geschehen. Später, als sich die Kämpfe in einen anderen Teil der Stadt verlagerten, hatte er es gewagt, sein Versteck wieder zu verlassen und die Leiche der jungen Frau gefunden. Sie war dem Panzer entkommen, aber offensichtlich nur, um wenige Augenblicke danach von einem Heckenschützen erschossen zu werden. Noch später, nachdem es ihm irgendwie gelungen war, den Jemen zu verlassen, hatte er jedem erzählt, daß der Panzer die Frau vor seinen Augen überfahren hätte. Wie sich herausstellte, hatte dies den Preis für das Bild allerdings nicht in die Höhe getrieben, sondern im Gegenteil dafür gesorgt, daß es unverkäuflich wurde.
Trotzdem war es sein persönliches Lieblingsbild. Vielleicht, weil dies seine erste wirkliche Berührung mit dem Tod gewesen war. Er hatte ihn unzählige Male miterlebt, unzählige Male fotografiert und dokumentiert, aber damals in Aden war er ihm so nahe wie nie zuvor gewesen. Der Panzer hatte ihn buchstäblich um Zentimeter verfehlt, und die junge Frau war tot. Manchmal fragte er sich ganz ernsthaft, ob sie vielleicht tot war, weil er lebte.
Er sah wieder auf die Uhr, Noch fünf Minuten. Fünfmal sechzig Sekunden, und sein Leben würde sich radikal ändern. Und diesmal würde er sich nicht kaufen lassen, wie damals vor sechs Jahren.
Er stand auf, trug seine Tasse in die Küche zurück und spülte sie sorgsam aus, um auf diese Weise noch eine weitere Minute zu gewinnen. Als er in die Dunkelkammer zurückging und das Rotlicht aufleuchtete, war die Zeituhr beinahe abgelaufen. Er hätte die Filme jetzt gefahrlos herausnehmen können; einige Minuten Differenz nach oben oder unten machten bei dem modernen Material, mit dem er arbeitete, nicht viel aus.
Trotzdem wartete er ab, bis das leise elektronische Summen erklang, ehe er die beiden Behälter öffnete, die Filme herausnahm und in den Trockner gab. Das Rotlicht wäre stark genug gewesen, schon jetzt das eine oder andere auf den Negativen erkennen zu können, aber mittlerweile genoß Mogrod die Spannung regelrecht. Die wenigen Minuten, die er jetzt noch warten mußte, vertrieb er sich damit, den Projektor auszurichten, die Fotoschalen zu säubern und Papier bereitzulegen. Als er Entwickler, Fixierbad und Wasser bereitgestellt hatte, ertönte erneut ein leises Summen. Die Negative waren fertig.
Sorgfältig zerschnitt er die Filme in je sechs gleich lange Streifen, legte elf davon beiseite und spannte den ersten in den Projektionsapparat. Seine Finger zitterten nun doch leicht. Trotzdem arbeitete er präzise und mit der gewohnten Sicherheit und Routine - mit einer Ausnahme. Er belichtete nicht alle sechs Bilder nacheinander, sondern begann sie einzeln zu entwickeln. Er hatte Zeit, und er wollte den Moment
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