AZRAEL
mit dem Fuß hinter sich zuschob - natürlich nicht, ohne in der gleichen Bewegung die beiden Kunststoffröhrchen mit den Filmen aus der Tasche des Mantels geklaubt zu haben. Noch immer im gleichen Sturmschritt, in dem er durch die Tür gekommen war, durchquerte er die Wohnung, legte die Kamera auf den einzigen freien Sessel und betrat die Dunkelkammer, die er sich im ehemaligen Abstellraum eingerichtet hatte. Im Vorübergehen bemerkte er zwar, daß das Licht des Anrufbeantworters flackerte, aber das ignorierte er - wie meistens. Wahrscheinlich war es sowieso nur jemand, dem er Geld schuldete, oder ein Redakteur, der einen Moment abgewartet hatte, in dem er ganz sicher nicht zu Hause war, um ihm eine Absage aufs Band zu sprechen. Normalerweise schaltete er das Ding sowieso nicht ein, wenn er das Haus verließ.
Auch das würde sich ab morgen radikal ändern, dachte Mogrod gutgelaunt. Manchmal waren es die Kleinigkeiten, d ie einem das Leben versüßten - wie zum Beispiel, nicht mehr zusammenzuzucken, wenn es unerwartet an der Tür klingelte, oder mit gutem Gewissen den Anrufbeantworter abhören zu können.
Mit einer fast ehrfüchtigen Bewegung lud er die beiden Filmrollen auf der zerschrammten Arbeitsplatte ab, schaltete das Rotlicht ein und die normale Deckenbeleuchtung aus. Er hätte sofort anfangen können, die Filme zu entwickeln – alles war bereit, alle Utensilien standen ordentlich in Griffweite, a l les, was er brauchte, war da. Es kam schon einmal vor, daß sein Kühlschrank leer war, aber das Regal mit den Chemikalien, Entwicklerflüssigkeiten und Fixierern war immer ebenso gut gefüllt wie die Papierschubladen unter dem Tisch. Obwohl sein Leben sich während der letzten beiden Jahre in eine immer schneller werdende Schlitterpartie in den Abgrund verwandelte, hatte er zumindest hier drinnen noch eine Spur der alten Disziplin und Zuverlässigkeit bewahrt; zum Teil aus purer Gewohnheit, zum größeren Teil aber aus dem sicheren Wissen heraus, daß - wenn überhaupt - er einen neuen Start hier drinnen beginnen würde. Fotografieren war alles, was er konnte. Alles, was er je gekonnt hatte, und alles, was er jemals können wollte. Und er hatte recht gehabt, verdammt noch mal. Sein Comeback stand vor ihm , verpackt in zwei fünf Zentime ter hohen, schwarzen Plastikdosen.
Mogrod öffnete das erste Röhrchen, nahm den Film heraus und überzeugte sich pedantisch davon, daß die Tür sicher verschlossen war und nicht der winzigste Lichtschimmer durch einen Spalt dringen konnte, ehe er die Rolle öffnete und die Negative in die Entwicklerdose gab. Er hätte beide Filme zugleich entwickeln können, und er hätte auch die Flüssigkeit benutzen können, die griffbereit in einer noch gut halbvollen Flasche auf dem Regal stand, aber er tat keines von beidem, sondern ließ den zweiten Film vorerst unangetastet und öffnete eine neue, noch versiegelte Flasche. Dies war seine große und mit ziemlicher Sicherheit allerletzte Chance. Er würde nicht das mindeste Risiko eingehen.
Seine Finger zitterten leicht, während er arbeitete. Vermutlich eine Folge der durchwachten Nacht - und so ganz nebenbei der Angst, die er ausgestanden hatte. Außerdem war er kein junger Springer mehr, sondern mit seinen knapp fünfzig Jahren, von denen er sicherlich zwei - zusammengerechnet - im Zustand der Volltrunkenheit verbracht hatte, schon in einem Alter, in dem man sich nicht mal eben über eine Ba l konbrüstung schwang und an einem dünnen Nylonseil in die darunterliegende Etage hinunterkletterte. Genau das hatte er nämlich in der vergangenen Nacht getan.
Ein dünnes Lächeln breitete sich auf Mogrods Gesicht aus, als er an die zurückliegende Nacht dachte. Die Bullen waren wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend gerannt und hatten sich vor lauter Mißtrauen und Dienstbeflissenheit gegenseitig auf die Füße getreten - schließlich kam es nicht jeden Tag vor, daß der Leiter der Mordkommission höchst selbst die Ermittlungen durchführte.
Nicht, daß ihn das sonderlich aufgehalten hätte. Ein bißchen Bestechung, ein bißchen Dreistigkeit und ein, zwei kleine Notlügen, und schon war er in einer Wohnung gewesen, die praktisch von der gesamten Berliner Polizei beschützt wurde, damit auch keiner überraschend hereinplatzte und ihn beim Fotografieren störte. Vielen Dank auch.
Natürlich war das, was Mogrod jetzt so selbstzufrieden vor seinem inneren Auge defilieren ließ, in der Realität nicht ganz so leicht gewesen, sondern im
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