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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Tapferkeit aufgebraucht. Was um alles in der Welt ging hier vor?
    »Danke«, sagte sie. »Und entschuldigen Sie noch einmal, daß ich Sie belästigt habe, aber ich wußte mir keinen anderen Rat.«
    »Das ist völlig in Ordnung«, sagte Sendig. »Aber jetzt gehen Sie nach Hause. Sind Sie mit dem Wagen hier? Wenn ja, lassen Sie ihn besser stehen. In Ihrem Zustand sollten Sie nicht Auto fahren.« Er wartete Angelikas Antwort nicht ab, sondern gab dem Mann hinter der Glasscheibe einen Wink.
    »Lassen Sie diese junge Frau nach Hause fahren.« Er wartete, bis Angelika gegangen war. Dann sah er Bremer sehr lange und sehr ernst an, und schließlich sagte er: »Ich denke, ich werde doch mehr als nur ein Telefonat führen müssen.«
    16. Kapitel
    P etri nahm die beiden Gläser, aus denen er und sein Vater zuvor getrunken hatten, und trug sie mit übertrieben langsamen Bewegungen zur Bar. Ebenso langsam und umständlich füllte er das seines Vaters wieder auf, schenkte ein zweites ein und reichte es Mark.
    »Danke«, sagte Mark. »Aber ich trinke keinen Alkohol.«
    »Blödsinn«, erwiderte Petri. »Du bist alt genug, und es redet sich besser so. Außerdem ist es kein Alkohol, sondern Medizin, und die verordne ich dir jetzt.«
    Mark griff widerwillig nach dem Glas, hielt es aber nur in der Hand. Er hatte nicht vor, zu trinken, aber Petris theatralisches Gehabe beunruhigte ihn noch mehr. Es hatte keinen anderen Sinn als den, Zeit zu gewinnen. Warum?
    »Wozu? Glauben Sie, daß ich es nötig habe?«
    »Doktor, bitte«, sagte Marks Vater. »Ich glaube nicht —«
    »Ich« , unterbrach ihn Petri mit einer Schärfe und Bestimmt heit, die Mark niemals an ihm vermutet hätte, »glaube, daß Sie schon viel zu lange gewartet haben. Wenn Sie schon nicht auf meinen freundschaftlichen Rat hören wollen, dann hören Sie auf meine Erfahrung als Arzt. Es gibt Dinge, die müssen sein, auch wenn sie weh tun. Sie werden nicht besser, wenn man nur lange genug wartet.«
    Er wandte sich wieder an Mark. »Du haßt deinen Vater, nicht wahr? Weil du glaubst, daß er deine Mutter auf dem Gewissen hat.«
    »War es denn nicht so?« fragte Mark.
    »Nein«, sagte Petri. »Er kann nichts dafür. Er am allerwenigsten.«
    »Ach«, sagte Mark. »Wieso?«
    Petri zögerte. Man mußte nicht unbedingt telepathisch begabt sein, um zu erkennen, wie schwer es ihm fiel, weiterzusprechen. »Es ist... nicht seine Schuld«, sagte er zum wiederholten Mal. »Er hielt es nur für besser, dich in dem Glauben zu belassen, daß es so ist.«
    »Wie bitte?« fragte Mark fassungslos. Er starrte seinen Vater an, aber der wich seinem Blick aus.
    »Es war besser«, fuhr Petri fort. »Wenigstens für eine Weile. Aber ich denke, daß es jetzt an der Zeit ist, dir die Wahrheit zu erzählen.«
    »Besser für wen?« fragte Mark. »Was soll das alles überhaupt?«
    »Besser für dich«, sagte Petri. »Weißt du - manchmal ist es leichter, einen Schmerz zu ertragen, wenn jemand da ist, dem man die Schuld daran geben kann.«
    »Und jetzt —«
    »Jetzt«, unterbrach ihn Petri betont, »bist du alt genug, um die Wahrheit zu erfahren. Es ist schade, daß es so geschehen muß, aber wahrscheinlich geht es nicht anders.«
    »Was muß ich erfahren?« fragte Mark. »Eine neue Lüge? Ich will sie nicht hören.«
    Es war nicht Petri, der antwortete, sondern sein Vater. Er sah Mark noch immer nicht an, und er sprach sehr leise, mit einer Stimme, die Mark noch nie zuvor von ihm gehört hatte. Plötzlich klang er wie ein alter, schwacher Mann. »Die Wahrheit, Mark. Aber sie wird dir nicht gefallen.«
    »Das glaube ich kaum«, antwortete Mark. »Ich glaube nicht, daß mir irgend etwas weniger gefällt als das, was ich bisher erlebt habe.«
    Petri und sein Vater tauschten einen langen Blick, und diesmal war es Petri, der das Gespräch fortsetzte.
    »Du warst zwölf Jahre alt, als du ins Internat gekommen bist, nicht wahr?« fragte er.
    »Ja«, antwortete Mark. »Was soll diese Frage?«
    »Und was war vorher?«
    »Vorher?« Mark blickte verwirrt von seinem Vater zu Petri und wieder zurück. »Was soll das?«
    »Ich frage dich, was vor deiner Zeit im Internat war«, beharrte Doktor Petri. »Du wolltest eine ganz normale Jugend - das hast du jedenfalls gerade selbst gesagt. Erzähl mir etwas davon. Von der Zeit vor deinem zwölften Geburtstag. Bevor du ins Internat gekommen bist.«
    »Aber das ist doch lächerlich!« sagte Mark.
    »Erzähl mir davon«, verlangte Petri. »Irgend etwas. Es ist gleich,

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