Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
Spitzen glitten durch Claudes Körper hindurch, ohne ihn zu verwunden.
»Sag es schon!«
, brüllte Claude. Sein bestickter Umhang flatterte im Wind.
»Ich bin dein Sohn!«, schrie Alastair. »Ich wollte immer nur dein Sohn sein! Ich habe dich so geliebt! Doch du hast mich nicht geliebt, nie! Nur
ein
freundliches Wort. Nur
ein
anerkennender Blick. Du Feigling!« Alastair verlor das letzte bisschen Haltung, das ihm geblieben war. Die Stimmung schwankte auf und ab – ich wusste, was jetzt passierte, würde essenziell sein.
»Du feiger Hund!«, beschimpfte Alastair seinen Vater und sah plötzlich wieder jung, weich und verletzlich aus, wie der Alastair, den ich in seinen Erinnerungen gesehen hatte. »Wieso hast du dich nicht getraut, mich zu lieben? Wieso konntest du mich nicht anerkennen?« Sein Gesicht war wutverzerrt. »Stattdessen hast du mich der Grausamkeit der Welt ausgesetzt und mich als deinen Bastard präsentiert. Ich hasse dich! Ich wollte doch nur dein Sohn sein!« Claudes Blick war nun bekümmert und sorgenvoll.
Ich jedoch bekam langsam eine Ahnung davon, was wirklich vorging – in Alastair und in Azulamar. Es war wie ein schlechter Krimi: Tatsächlich war der ganze Hass in Alastairs Seele nur die Ausgeburt seiner eigenen Angst und Verzweiflung. All das Gerede über seinen Schmerz war viel wahrer gewesen, als ich angenommen hatte. Wie viele Menschen hatten nur zu verantworten, dass es so weit gekommen war! Ich wusste, dass Claude das Gleiche dachte. Er wurde sich jetzt erst bewusst, wie viel Schuld er selbst trug.
»Alastair«
, begann er von Neuem, mit ruhiger, sanfter Stimme und streckte den Arm mit offener Handfläche aus.
»Bitte. Du musst das hier beenden. Du musst die Welle stoppen – mein Sohn.«
Alastair starrte seinen Vater an, sein Körper wurde nun regelrecht geschüttelt. Nur mit allergrößter Mühe gelang es ihm, die Krämpfe, die an ihm zerrten, zu unterdrücken. Er senkte den Blick, und ich glaubte schon, dass wir es endlich geschafft hätten. Als er wieder den Kopf hob, dachte ich, eine silbrige Spur von Tränen in seinen unendlich grünen Augen zu sehen. »Es ist zu spät. Ich kann nicht mehr zurück.« Er schüttelte den Kopf und hob die Arme an. Ein letztes Mal schienen die Wasser unter unseren Füßen anzufangen zu brodeln, und ein Blick zum Strand genügte, um mich wissen zu lassen, dass uns nur noch wenige Minuten blieben, bevor die gewaltige Wassermasse unaufhaltsam über das Land hereinbrechen würde.
»Es ist niemals zu spät, mein Junge.«
Eine weitere Gestalt tauchte aus den Wellen auf, und erst glaubte ich, es wäre Hippolyta, war es doch auch eine Frau mit langem hellem Haar. Doch dann sah ich die grünen Augen, die hohen, scharfen Wangenknochen und auch, dass ihr Haar noch mehr blond als weiß war.
»Mutter«, hauchte Alastair. »Ich werde nicht aufgeben. Du hast mich gelehrt, dass ich es nicht tun darf! Von dir habe ich alles gelernt, was ich weiß! Du hast mir den Weg zum Thron geebnet, und du hast meinen Vater …«
»Ich habe geirrt, mein Sohn«
, unterbrach Selene ihn mit zärtlicher Stimme und glitt näher auf ihn zu.
»Ich habe das Falsche getan. Und dir das Falsche eingeflüstert. Den ganzen Hass, den ich in deine Seele gehaucht habe … Es war falsch. Vollkommen falsch. Oh Götter, wie ich wünschte, dass ich es rückgängig machen könnte! Was würde ich dafür geben!«
Tatsächlich rann eine Träne über Alastairs Wange.
Ich verstand nicht, wie seine Gefühle so schnell umschwingen konnten. War das noch der Mann, der mich wenige Minuten zuvor getötet hatte? War das noch der Tyrann, von dem wir Azulamar befreien wollten?
Und würde es noch der Mann sein, der die Welt zerstörte?
»Ich habe Angst«, gestand er, seine Eltern ansehend. Ich glaube, er merkte gar nicht mehr, dass wir anderen noch da waren.
Die Träne tropfte von seinen rauen Wangen herab und verschwand irgendwo im riesigen Ozean. Salzwasser zu Salzwasser.
Ich setzte zum Sprechen an, doch die Worte, die ich gerade sagen wollte, wurden mir regelrecht aus dem Mund genommen.
»Du brauchst keine Angst zu haben.«
Es war eine helle, warme Stimme, so freundlich wie ein Sommertag. Sie ähnelte keiner Stimme, die ich kannte – doch ich wusste sofort, zu wem sie gehörte.
Es war eine junge Frau mit rotblondem Haar, die an River vorbeiging und ihm zärtlich über den Kopf fuhr. Ihre Augen blitzten, neben ihren Mundwinkeln sah ich angedeutete Grübchen, die darauf hindeuteten, wie gerne und viel
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