Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
P ROLOG
D er junge, schlanke Mann schloss die Augen und sog ein letztes Mal die sanfte Brise ein, die vom Meer her kam. Den salzigen, würzigen Duft in der Nase, das Rauschen der Brandung ganz in der Nähe – und er hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, der zu sein, der er hätte werden sollen. Er spürte die Feuchtigkeit auf seiner Haut als einen Bruchteil davon, wonach er sich sehnte.
Seine Haut war schmutzig, sein Haar von seinem eigenen und auch von fremdem Blut verkrustet. Purer Dreck ließ seine zerfetzte Kleidung starren.
Er wusste, er hatte verloren.
Den Kampf, den er selbst ausgelöst hatte, ohne es zu wollen. Seine zittrigen, fleckigen Hände zogen aus seinem alten Hemd eine zerknitterte Fotografie. Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Augenwinkel, rann seine staubige Wange herab und versickerte in dem schmuddeligen Kragen.
»Monique …«, flüsterte er, küsste die Fotografie und zerriss sie dann, um sie in das kleine, schwarze Meerwasserrinnsal fallen zu lassen.
Niemand sollte dasich an dem Morgen erwachte, war i Foto finden.
Niemand sollte es je wieder berühren. Er und sein geliebtes Meer, sie sollten die Letzten sein. Mit seinen scharfen Ohren nahm er ein Geräusch wahr. Sein Herz zog sich in wildem Schmerz zusammen, es pumpte einen letzten Schuss Adrenalin durch seine Adern, als sich der Mann vorbeugte und den kleinen Jungen zu seinen Füßen fester zudeckte.
Ein leises Lächeln, wie es nur ein Vater vermochte zu lächeln, legte sich über seine Lippen, als er die verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Jungen und sich selbst, aber auch seiner Mutter entdeckte.
Sein Sohn würde das beenden, was er angefangen hatte.
Sein Sohn würde zurückkehren, in die Heimat, die er einst verlassen hatte, für eine Zukunft, die es dann doch nicht gegeben hatte.
Ein letztes Mal sah er ihn an, mit einem Blick, der vom Schmerz eines Abschiedes durchwoben war, streichelte seine Schläfe und beobachtetemit väterlichem Stolz, wie der kleine Junge im Schlaf etwas Undeutliches murmelte und sich zur Seite drehte.
Dann erhob sich der Mann und ging dem Licht entgegen, um die Grotte zu verlassen.
Er tauchte in das Licht des Sonnenaufgangs und wusste, dass er es nur noch ein einziges Mal auf seinen geschlossenen Augenlidern spüren würde.
Ein Bolzen streckte ihn im nächsten Moment nieder und betäubte seine Sinne.
Bevor er auf dem Boden ankam – er spürte die Wucht des dumpfen Aufpralls schon nicht mehr –, schoss ihm ein letzter, verzweifelter Gedanke durch den Kopf.
Trag mich hinfort!
Der junge Mann streckte seine Fingerspitzen nach dem Meer aus, aber es gelang ihm nicht mehr, es zu berühren, bevor man ihn umzingelt hatte.
1. Kapitel
D ER A NFANG
14 Jahre später – eine kleine Stadt, nur wenige Meilen entfernt
A ls ich an dem Morgen erwachte, war ich mir darüber bewusst, dass es ein grauenhafter Tag werden würde. Ich hatte kein Auge zu getan, weil es so unglaublich heiß war, dass ich mit offenem Fenster schlafen musste – was für mich einfach unerträglich war.
Zwar hatte ich nicht mit Verkehrslärm oder Ähnlichem zu kämpfen, weil unser Haus an einer weit abgelegenen Straße stand, aber ich konnte nur bei absoluter Dunkelheit schlafen.
Umso schlimmer, dass in der besagten Nacht vor dem besagten Morgen Vollmond gewesen war.
Ich denke, es ist nicht notwendig zu sagen, dass ich aufwachte und das Gefühl hatte, einen Höllentrip hinter mir zu haben. Meine Muskeln waren verspannt, meine Knochen steif – ich hatte mich verlegen –, und als mein Wecker begann, Musik zu spielen, und ich mich von der Melodie überreden ließ, einen Blick auf die digitale Leuchtanzeige zu werfen, musste ich feststellen, das ich vor genau einer Stunde und drei Minuten das letzte Mal auf den Wecker gesehen hatte.
Es mag ein wenig abergläubisch sein, aber ich vertrat die Meinung, dass nach einer schlechten Nacht auch kein guter Tag kommt.
Als ich, mehr tot als lebendig, ins Badezimmer wankte und meine von tiefen Schatten geränderten Augen in meinem sowieso schon blassen Gesicht sah, bestätigte sich dieser Glaube nur noch.
Dennoch drehte ich widerwillig die Dusche auf und wartete ab, bis der Strahl warm war – obwohl mein Vater immer noch darauf schwor, dass eine eiskalte Dusche das Einzige war, was einen am Morgen richtig in Gang brachte. Ich hatte nichts gegen kaltes Wasser im Allgemeinen, liebte ich es doch, im Meer zu schwimmen, aber ich hielt es für eine unzumutbare Tortur, morgens
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