Babel 1 - Hexenwut
wenn die Trauer weiter zunahm, würde es für sie unmöglich werden hierzubleiben.
»Ich bin keine Polizistin«, antwortete sie lahm, sein Blick hielt sie immer noch fest.
»Nein, aber dir stehen andere Mittel zur Verfügung. Wir wissen nicht, worauf es der Mörder abgesehen hat, und ich habe Angst um meine Leute. Sie zählen auf mich, aber dieses Mal lässt sich das Problem nicht durch Muskelkraft lösen. Ich weiß, dass Hexen oft Einzelgänger sind, aber auch ihr habt Familie. Stell dir vor, ihnen würde jemand nachstellen.«
Wollte er ihr ein schlechtes Gewissen machen?
Es funktionierte.
Sie spürte, wie das Nein ihr wieder von der Zunge kroch und in den dunkleren Ecken ihres Verstands verschwand und sich stattdessen ein leuchtendes Okay nach vorne schob.
»Okay. Komm morgen früh um neun zur Staatsanwaltschaft, dann sehen wir, was die Polizei bisher hat. Außerdem muss ich mir den letzten Tatort ansehen. Möglicherweise lässt sich da noch eine magische Spur finden.« Sie griff nach der Mappe, und Tom streckte ihr die Hand entgegen.
Wo er sie berührte, wurde ihre Haut warm. Sie sah auf die gebräunten Finger, die ihre Hand umschlossen, und spürte die Kraft in ihnen. Als er den Blick nicht von ihren Händen abwandte, ahnte sie, was er betrachtete. Im Gegensatz zu normalen Menschen wusste er, wie die Narben entstanden waren. Die hohe Anzahl zeugte davon, dass Babel Blutrituale nicht fremd waren. Für einen Plag musste der Anbück verstörend sein, aber er ließ sich nichts anmerken.
Aus irgendeinem Grund entzog sie ihm ihre Hand nicht. Sie war nicht stolz auf ihre Vergangenheit, und sie bedauerte vieles, aber sie schämte sich auch nicht für sie.
Nach einer Weile sah er auf und lächelte. »Danke!«
»Kein Problem.«
Du musst jetzt wegschauen, Babel.
Leichter gesagt als getan.
Die Luft zwischen ihnen war auf einmal aufgeladen mit einer Spannung, die nichts mit ihrem Gespräch zu tun hatte. Das war eine ziemliche Überraschung - für ihn wahrscheinlich noch mehr als für Babel. Sie spürten beide diese Faszination, auf die man manchmal unverhofft trifft, wenn man einem Fremden begegnet, und die nicht danach fragt, ob man etwas gemeinsam hat. Plötzlich ist da dieser Funke, der überspringt und einen Flächenbrand unter der Haut verursacht.
Für ihn musste Babel die verbotene Frucht sein, die Frau, vor der ihn sein Vater und seine Mutter gleichermaßen gewarnt hatten. Und auch sie war nicht immun gegen die Anziehungskraft, die er verströmte. Sie hoffte sehr, dass es nur an ihrer Schwäche für Tätowierungen lag und sie den Flächenbrand irgendwie wieder löschen konnte.
Nur schwer löste sie sich von ihm, aber sie hatte sich geschworen, nie wieder etwas Kompliziertes anzufangen. Und sich in einen Plag zu vergucken, fiel eindeutig in die Kategorie kompliziert. Kompliziert hatte sie hinter sich, und jetzt war sie ein großes Mädchen. Sie begann nicht mehr mit jedem Typen eine Romanze, der nach Ärger aussah. Inzwischen wusste sie es besser. Babel wollte einen Netten. Genau das wollte sie: einen netten, unlangweiligen Kerl, der dasselbe glaubte wie ihr Finanzamt, nämlich, dass sie als Personal Trainer arbeitete.
Hastig nickte sie und stürzte aus dem Wagen, als sei der Teufel hinter ihr her. Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, atmete sie erst einmal tief durch, bevor sie langsam die drei Stufen hinabstieg. Unter ihren Füßen knarrte das Holz. Mit jedem Schritt beruhigte sich ihr Herzschlag, wurden ihre Gedanken klarer. In der Luft lag nicht mehr der Geruch nach Moos, und ihr Atem verlor die Ähnlichkeit mit einer Dampflok. Irritiert blinzelte sie in den Himmel.
Hatte sie gerade zugesagt, für die Plags einen Mörder zu finden?
Außerhalb des Zwielichts des Wagens erschien ihr die Idee auf einmal gar nicht mehr so glänzend.
Das ist eine Schnapsidee!
Aber diese Augen ...
Plötzlich kam ihr der Verdacht, dass Tom sie nicht ohne Grund so intensiv angesehen hatte.
Mein Gott, wie peinlich!
Der Plag hatte sie hypnotisiert.
Sie war so erbost über die Sache mit Sam gewesen, dass es ihr gar nicht aufgefallen war. Empört schnappte sie nach Luft. Dabei wusste sie nicht genau, ob sie wütend auf den Plag war, weil er mit ihr geflirtet hatte, oder auf sich selbst, weil sie sich hatte einwickeln lassen.
Sie überlegte, ob sie umdrehen und ihm sagen sollte, dass er die Sache vergessen konnte, aber dann fiel ihr Blick auf den roten Bauwagen in der Mitte der Wagenburg, dessen
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