Babel 1 - Hexenwut
anderen. Sie waren Unruhestifter, aggressiv, launisch und unberechenbar. Stets darauf bedacht, ihre Bedürfnisse zu stillen. Sie konnten erkennen, wenn jemand magisch aktiv war, obwohl sie selbst keinen Einfluss auf die Magie nehmen konnten. Sie waren wie ein loderndes Feuer, das einen einschloss und verzehrte.
Aber diese Geschichten hatten nie erwähnt, wie verlockend dieses Feuer sein konnte. Wenn Sam sie küsste oder mit ihr schlief, dann vergaß sie, dass er nur dem Anschein nach ein richtiger Mensch war.
Babel hoffte, dass sie Sam zähmen konnte. Dass er ihretwegen auf den Ärger verzichtete. Manchmal ging diese Rechnung auf, manchmal aber auch nicht. Bei Sam konnte man nie genau vorhersagen, welcher dieser Tage es gerade sein würde, und genau das machte das Leben mit ihm anstrengend, wenn auch nicht langweilig.
»Dort ist es«, sagte er plötzlich und zeigte auf ein Mehrfamilienhaus, das sich mit einer rosafarbenen Fassade an der Straßenecke erhob und dessen Fenster im Erdgeschoss vergittert waren.
Im Eingang standen ein paar Jungs, höchstens dreizehn Jahre alt, die sie schweigend musterten und keinen Hehl daraus machten, dass sie Sam und Babel einzuschätzen versuchten. Ihre Blicke waren herausfordernd, und als Babel zu Sam hochsah, hatte er seinen Tollwutblick aufgesetzt, den er im Jugendknast gelernt hatte. Ein aggressives Starren unter dem blonden Pony, das sagte: Trau dich!
Nach ein paar Sekunden sahen die Jungs in die entgegengesetzte Richtung, als wären die beiden Neuankömmlinge vollkommen uninteressant.
»Jungs«, murmelte Babel und schüttelte den Kopf. Irgendwie ging es ständig darum, anderen etwas zu beweisen.
Schon im Erdgeschoss war der Partylärm zu hören. Sie folgten der Geräuschkulisse in den dritten Stock und drängten sich durch die Gruppe Leute, die auf dem Flur standen und saßen, während der Zigarettenqualm schon dick wie Nebel durch die Räume waberte. Hier und da klopfte Sam jemandem auf die Schulter, aber Babel erkannte kein einziges Gesicht. Sie kannte seine Freunde nicht, weil er die meiste Zeit bei ihr rumhing. In dem besetzten Haus, in dem sie zurzeit lebte, interessierte es niemanden, ob er über Nacht blieb oder nicht. Ihn mit anderen zu sehen, war eine neue Erfahrung für sie. Wo genau er selbst wohnte, wusste sie nicht. Wie ein Geist kam und ging er, ganz so, wie es ihm passte.
»Da ist ja der Gastgeber«, rief er auf einmal und bugsierte Babel zu einem kleinen Kerl mit gefärbtem schwarzem Haar, der ein DANZIG -T-Shirt trug und in einer Tour nickte, als wäre er ein Wackeldackel auf der Hutablage eines Autos. Breit grinsend kam der Kerl auf sie zu und schwenkte seine Bierflasche.
»He, Johann!« Freundschaftlich boxte ihn Sam gegen die Schulter und nahm ihm die Flasche ab. Er trank einen Schluck und bot die Flasche dann Babel an, doch die winkte ab. Wer wusste schon, wie viele Leute daraus getrunken hatten?
»Cool, dass du gekommen bist«, nuschelte Johann und nickte wieder enthusiastisch. »Wen hast du mitgebracht?« Sein Blick wanderte neugierig über Babel, aber Sam drückte sie enger an sich.
»Vergiss es. Das ist mein Mädchen, und du lässt besser die Finger von ihr.«
»Ich bin nicht dein Mädchen«, erwiderte Babel und schob seinen Arm von ihrer Schulter. »Glaubst du, ich bin wie das alte Paar Schuhe, das du da trägst?«
»Sie ist süß, was?« Lachend zog Sam sie weiter. »Wir sehen uns noch, Jo.«
Im Wohnzimmer folgte ein Wirbel an Begrüßungen, Gesprächen und Witzen, bis Babel der Kopf schwirrte. Sam erzählte Geschichten, lachte und sang laut zu den Songs mit, die aus der kratzenden Anlage drangen. In null Komma nichts hatte er die Gruppe fest im Griff, die sich fasziniert zeigte von seinem Übermut. Wenn er wollte, konnte Sam so charmant sein, dass es einem die Schuhe auszog.
Er war die Sonne, um die sie alle kreisten.
Babel merkte, wie das eine oder andere Mädchen sie kritisch musterte. Wahrscheinlich fragten sie sich, was ein Typ wie Sam mit jemandem wie ihr wollte, weil sie die meiste Zeit stumm wie ein Fisch neben ihm stand. Dabei war es nicht so, dass sie schüchtern war - sie war nur vorsichtig. Babel war es nicht gewohnt, viel über sich zu erzählen, denn das Wichtigste verschwieg sie sowieso meistens, weil sie nicht dumm angemacht werden wollte.
Manchmal fragte sie sich, ob sie Sam nicht auch deswegen so mochte, weil er ganz genau wusste, wen er da vor sich hatte. Mit ihm gab es kein Verstellen und keine Lügen. Wenn sie zu
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