Babel 1 - Hexenwut
groß Babels Fähigkeiten eines Tages sein würden. Die Toten zu sehen, war für eine Hexe nie ein gutes Zeichen. Es bedeutete, dass Babel zu leicht die Grenzen zwischen den Magieebenen durchdringen konnte. Oft war es ihr gar nicht bewusst, es passierte einfach. Das war bei magisch aktiven Kindern keine Seltenheit. Es fiel ihnen leichter, Kontakt zu den Toten aufzunehmen, denn ihre Magie suchte sich ganz intuitiv einen Weg in die andere Ebene. Doch wenn sie älter wurden und der Verstand die dominierende Rolle übernahm, wurden ihre Instinkte schwächer, und der Übergang konnte nur noch mit Hilfe von Ritualen erfolgen.
Deshalb hatte sich Maria am Anfang nichts dabei gedacht, als Babel ihr von den Toten erzählt hatte, die sie sah. Inzwischen jedoch konnte Babel auch mit ziemlicher Genauigkeit sagen, wann ein Dämon auf den anderen Ebenen an ihnen vorüberzog, und das war wirklich ein Grund, beunruhigt zu sein. Babel benötigte weder Bilder noch Sprüche, um Magie zu wirken. Sie war eine intuitive Hexe. Zwar war das ein Zeichen der Macht, aber es barg auch Gefahr in sich.
Die Ebenen der Toten und Dämonen waren für magisch aktive Menschen verlockend, denn die Energien, die darin herrschten, vergrößerten die Macht einer Hexe. Doch wie die meisten Sachen besaß auch diese eine Kehrseite: Es konnte passieren, dass sich die Hexe zu sehr an die anderen Ebenen gewöhnte und eines Tages vielleicht nicht mehr davon lassen konnte. Vor vielen Jahren hatte Maria einmal gesehen, was passierte, wenn eine Hexe die Kontrolle über ihre Kräfte verlor, weil sie zu erschöpft war. Der Dämon, den sie beschworen hatte, hatte dauerhaft von ihr Besitz ergriffen und drei Menschen getötet, bevor der Wirts-körper von der Polizei erschossen worden war und der Dämon in seine Ebene zurückkehren musste. Das war kein schöner Anblick gewesen, und Maria wollte nicht, dass es ihrer Tochter genauso erging.
Nachdenklich verließ sie das Gebäude, aber auch als sie in den Sonnenschein trat, verschwanden die düsteren Gedanken nicht. Sie ängstigten Maria stärker, als sie zugegeben hätte, und wäre Babel älter, hätte sie sich ebenfalls gefürchtet - noch mehr als vor den Schatten, von denen Kinder glaubten, dass sie unter ihren Betten lauerten ...
Babels 17. Geburtstag
»Komm schon, Babel, das wird super, du wirst sehen. Freibier und Chips!«
Sam führte sich auf, als hätte er die Party eigens für sie organisiert, dabei gingen sie zu der Feier eines Freundes. Irgendwo im Osten der Stadt, in einem Viertel, in dem Babel sonst nicht unterwegs war, weil es ewig weit weg von ihrem Unterschlupf lag. Genervt dachte sie an den Heimweg. Wenn die Party vorbei war, fuhr garantiert keine Bahn mehr, und das bedeutete Fußmarsch.
»Ich will trotzdem noch ein Geschenk, nur damit wir uns verstehen, mein Freund.« Sie schlang den Arm um Sams Hüfte, der sie lachend an sich zog.
Sein Kumpel hatte die sturmfreie Bude übers Wochenende dazu genutzt, Freunde einzuladen - oder zumindest Leute, die er dafür hielt. Wie Sam. Dass der jetzt versuchte, Babel eine fremde Party als ihr Geburtstagsgeschenk zu verkaufen, war zwar dreist, aber irgendwie auch charmant. Sie fand ohnehin vieles an ihm charmant. Besonders das Grinsen, mit dem er sie in diesem Moment bedachte, als sie die Straße überquerten.
Sein Grinsen war auch das Erste gewesen, was sie von ihm gesehen hatte, als er sie vor zwei Monaten in einem Club angesprochen hatte. Zwischen zwei Songs hatte sie von ihrer Cola aufgeschaut, und da war es gewesen: Sexy und unverschämt lud es einen ein, Dinge auszuprobieren, an die man vorher noch nicht einmal gedacht hatte. Und plötzlich konnte man kaum noch an etwas anderes denken als daran, diesen Mund zu küssen. Jedenfalls ging es ihr so.
Als Nächstes waren ihr dann seine Augen aufgefallen. Sie waren von einem so hellen Blau, dass sie fast weiß wirkten, wenn das Licht wie jetzt seitlich auf sie fiel. Dann konnte man die Iris nur durch den dunklen Rand und den Schatten, den die Wimpern warfen, erkennen. Auf jeden Fall waren es schöne Augen.
Auch der Rest von Sam war nicht zu verachten. Er war muskulös, und auf der Hüfte prangte ein kunstvolles, auf den Kopf gestelltes Kreuz, das Babels Blick immer wieder magisch anzog, wenn er ohne T-Shirt herumlief und die Tätowierung über den Hosenbund ragte. Er hatte einfach etwas an sich, das es schwer machte, ihn nicht ständig anzuschauen. Er zog die Blicke auf sich, ganz gleich, wo er war und wem er
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