Babel 1 - Hexenwut
mit roten Granatsteinen als Augen. Der Schmuck sah nicht nur gotisch aus, er war es auch, und die Magie, die in ihm pulsierte, war so alt wie der Schmuck selbst.
Das Ensemble war ein Geschenk ihrer Mutter zum fünfundzwanzigsten Geburtstag gewesen. Immer wenn Babel dachte, dass es wirklich gefährlich werden könnte, legte sie den Schmuck an. Er vibrierte fast vor magischer Energie und war ihre stärkste magische Waffe, abgesehen von ihr selbst. Als Letztes legte sie wieder den Ring mit der Metallspitze an.
Dergleichen gerüstet, rief sie Tamy an, die anbot, Babel mit dem Auto abzuholen.
»Ich werde sicher nicht auf deinem Klapperding hinten aufsitzen und in der ersten Kurve mit dem Arsch auf dem Asphalt landen. Vergiss es. Wir nehmen das Auto.«
Tamy klang wie immer. Offenbar hatte sie auch am Morgen nach ihrem Gespräch noch keine Panik bekommen, weil sie nun eine echte Hexe kannte. »Na ja«, sagte sie trocken, »ich bin sicher, irgendwann wird mir dein Hokuspokus auch mal nützlich sein.«
Pragmatismus war eine tolle Sache.
Eine halbe Stunde später hielt Tamy vor dem Haus und stieg aus dem Auto, einem blitzsauberen BMW mit getönten Scheiben. Über das Dach des Wagens hinweg beobachtete sie, wie Babel durch den Garten lief. Tamy trug einen dunklen Hosenanzug und ein weißes T-Shirt, im Haar steckte eine Sonnenbrille, und jeder Zentimeter an ihr sah nach dem Bodyguard aus, der sie heute sein sollte. Neunzig Kilo geballte Muskelkraft mit Haaren, um die sie Rapunzel beneidet hätte.
Auf Babels Frage, warum sie in ihrem Job die Haare so lang trug, hatte sie mal gesagt: »Es sind meine Haare, und ich lasse mich nicht von irgendwelchen Idioten dazu zwingen, sie abzuschneiden, nur weil sie wie kleine Mädchen daran ziehen könnten.« Mit anderen Worten: Ich mache, was mir gefällt.
Inzwischen trug Babel Jeans und Lederjacke, und als sie den Arm ausstreckte, flog die Krähe herab und ließ sich darauf nieder.
»Willst du mich verarschen?«, fragte Tamy. »Eine Krähe? Was kommt als Nächstes? Besen und Tanz ums Maifeuer?«
»Tut mir leid, manche Klischees haben nun mal einen wahren Kern. Wenn's dich beruhigt, dann kann ich dir sagen, dass es nicht meine Krähe ist und dass ich auch keine Katze besitze. Genau genommen mag ich Tiere nicht mal besonders.«
»Nicht mal Frösche?«
»Niemand mag Frösche. Die sind schleimig und quaken.«
»Du bist eine sehr seltsame Frau.« Tamy schüttelte den Kopf, und als sie einstieg, hörte Babel sie murmeln: »Und die Leute halten mich für merkwürdig ...«
Es benötigte einiges Geschick, um sich samt Vogel auf dem Beifahrersitz zu platzieren, aber als die Tür erst mal hinter ihr geschlossen war, hüpfte die Krähe auf die Hutablage. Tamys Blick ruhte skeptisch auf dem Vogel, vermutlich überlegte sie, was er ihrem Wagen antun konnte. Die Krähe selbst blieb erstaunlich ruhig. Vielleicht fuhr sie nicht zum ersten Mal Auto.
Babel spürte die Verbindung zu ihr und versuchte, so gelassen wie möglich zu bleiben.
Keine Bange, Babel, du bist keine Anfängerin mehr. Du beherrschst dein Handwerk. Wenn sich hier jemand fürchten muss, dann die anderen.
»Sag mal, wonach riechst du eigentlich?« Tamy zog die Nase kraus.
»Kokosnuss, und glaub mir, das ist dir lieber als die Alternative.«
Tamy schüttelte den Kopf, startete den Motor und fuhr aus der Parklücke. Als sich Babel umdrehte, um nach der Krähe zu sehen, erblickte sie durch das Rückfenster einen Mann, der nicht weit entfernt von ihnen im Schatten einer großen Kastanie stand. Sie konnte nicht sehen, wer es war, aber plötzlich war dieses eigenartige Gefühl wieder da. Die Art, wie der Mann dem Auto hinterhersah, beunruhigte sie. Zu still stand er, zu konzentriert.
Die Krähe hatte den Mann nicht im Blick, Babel konnte nicht erkennen, ob er magisch aktiv war, ihre eigenen Sinne nahmen jedoch keine Magie wahr.
Gerade als sie Tamy sagen wollte, sie solle umkehren, um sich den Kerl aus der Nähe anzuschauen, setzte er sich in Bewegung und drehte ihr den Rücken zu. Mit schnellen Schritten verschwand er um die nächste Straßenecke.
Grübelnd wandte sich Babel wieder nach vorn. Vielleicht war es ein Plag. Aber welchen Grund hätten sie, Babel zu beobachten? Glaubten sie etwa doch, dass sie etwas mit den Morden zu tun hatte? Was genau hatte Tom ihnen am Tag zuvor wohl erzählt?
Sie würde mit ihm darüber sprechen müssen, denn sie mochte es nicht, beschattet zu werden, und er hatte einen gewissen Einfluss auf
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