Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
die dafür vorgesehenen Schlitze zu friemeln. Als Babel einen Blick in den Garderobenspiegel warf, zeigte das Bild eine Vogelscheuche mit dunklen Ringen unter den Augen, wirrem Haar und gehetztem Blick. Das Einzige, was in diesem Moment strahlte, war das gelbe Plastik.
»Toll. Ich sehe aus wie ein Alien vom Gummiplaneten.«
Mit dem Paket unterm Arm stieg sie hinab in den Keller, bei jedem Schritt quietschte der Regenmantel.
»Und ich mache auch Geräusche wie ein Alien. Prima.«
In der Stille des Kellers erschien das Quietschen besonders laut.
Die Box stand noch genau dort, wo Babel sie abgestellt hatte. Vielleicht war die Krähe ja eingeschlafen. Vorsichtig legte sie das Paket neben den Bannkreis. Aus dem Stahlschrank nahm sie eine Duftkerze, die mit dem Ritual selbst nichts zu tun hatte, aber verhindern sollte, dass ihr durch den Geruch schlecht wurde. Ausnehmen war nichts für schwache Nerven. Danach starrte Babel auf das vorbereitete Ritual und versuchte, das drückende Gefühl in ihrem Magen unter Kontrolle zu kriegen.
Komm schon, du machst das Ganze hier ja nicht für dich.
Es stand immerhin viel auf dem Spiel. Trotzdem fühlte sie sich unwohl. Durch bereits tote Tiere konnte sie zwar nicht auf die Dämonenebene wechseln, aber sie musste an die Rituale denken, die sie gemeinsam mit Sam durchgeführt hatte.
Konzentrier dich, du hast das im Griff. Denk an Tom und wie du ihm helfen kannst.
Entschlossen ging sie in die Knie und zählte bis drei. Dann öffnete sie die Box und zog hastig die Arme zurück. Schon im selben Moment hüpfte eine Krähe aus dem Karton. Vor Schreck zuckte Babel zurück, aber der Vogel flatterte nicht davon. Der Bannkreis hielt ihn zurück. Vielleicht lag es auch daran, dass er an Rituale gewöhnt war, immerhin war er Judiths Vogel.
»Also doch kein Frosch.« Für einen kurzen Moment war sie erleichtert.
Eine Weile beäugte sie die Krähe, aber die schien nichts Außergewöhnliches zu tun. Der Vogel stieß ein kurzes Krah aus und beobachtete Babel mit kleinen schwarzen Augen. Das Gefieder glänzte im Licht der Neonröhre blau-schwarz, und lange Krallen klackerten auf dem Tafelboden. Dabei erzeugten sie ein unangenehmes Geräusch. Das Energiemuster des Vogels fühlte sich genauso an wie das jeder anderen Krähe auch, nur war in ihres Judiths magische Signatur eingewoben. Wie ein Stempel oder der Ring einer Brieftaube.
»Hallo, du«, sagte Babel zu dem Vogel, der nur den Kopf schief legte und sie weiter anstarrte.
Nachdem sich Babel an die Krähe gewöhnt hatte, wickelte sie das Paket vom Fleischer aus.
»Puh …« Der Anblick war nicht gerade appetitlich, und es roch auch nicht so. Trotzdem hüpfte der Vogel aufgeregt hin und her. »Tja, Geschmäcker sind eben verschieden, was?« Ein paarmal atmete Babel tief durch.
Komm schon, bring es hinter dich!
Mit angehaltenem Atem setzte Babel das Messer unter dem Brustbein des Hahns an und schnitt die Bauchdecke zu den Seiten hin auf. Nur widerwillig fuhr sie mit der Hand hinein und griff nach dem Magen. Danach löste sie die Leber und zog auch die heraus. Es folgten Darm und Kloake ebenso wie die Galle. Alles flog achtlos auf das Einpackpapier. Babel hatte nicht vor, auch nur ein einziges Stück davon zu braten. Zwischendurch hielt sie die Nase über die Duftkerze.
»Ich hoffe, du weißt zu schätzen, was ich hier tue«, murmelte sie und stellte sich Toms Gesicht vor, wenn er sie so sehen könnte.»Ich hasse das.«
Noch einmal holte sie tief Luft, dann aktivierte sie die Magie und stach sich mit einer desinfizierten Nadel in den Daumen. Sie ließ ein paar Blutstropfen auf das Fleisch fallen, das sich mit ihrer Energie auflud. Als sie es in den Bannkreis warf, beäugte die Krähe die Happen einen Moment lang misstrauisch, bevor sie das Fleisch aufpickte und verschlang.
»Wohl bekomm’s!«
Happen für Happen warf Babel hinein, Herz, Leber und Niere. In dem Augenblick, in dem sich ihr Blickfeld an den Rändern einengte, ihre Sicht verschwamm und sich wieder scharf stellte, wusste sie, dass die Verbindung zwischen ihr und der Krähe hergestellt war, wenn auch nur schwach ausgeprägt. Lange würde die Verbindung nicht halten – einen Tag höchstens. Judiths Prägung verhinderte eine allzu enge Bindung an das Tier.
Babel wechselte in die Perspektive des Vogels, und auf einmal sah sie die Welt verschoben und die Ränder doppelt. Ihre Sicht überlappte sich mit der des Vogels. Wenn die Krähe nicht aus demselben Winkel herausschaute
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