Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
wie sie, lag hinter dem eigentlichen Bild noch ein zweites, schwächeres. Je nachdem, in welcher Perspektive sie sich befand, sah sie entweder ihr Sichtfeld vorn oder das der Krähe. Es dauerte Minuten, bis sie sich daran gewöhnt hatte.
Als sie aufstand, um ein paar Probeschritte zu gehen, wurde ihr übel, und sie schwankte. Der Gleichgewichtssinn reagierte schlecht auf die verwirrenden Signale, die die Augen übersandten. Unter dem Regenmantel lief ihr der Schweiß in Bächen am Körper hinunter. Das Ritual kostete sie nicht nur Nerven, sondern auch Kraft. Wenn sie daran dachte, wie oft Judith diese Art Zauber anwandte, musste sie ihrer Schwester Bewunderung zollen.
Wie ein Kleinkind, das gerade laufen lernt, wankte sie durch den Keller und versuchte, nach Gegenständen zu greifen, um sich an die neue Sichtweise zu gewöhnen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie nicht mehr über ihre eigenen Füße stolperte.
»Verdammt«, entfuhr es ihr, als sie sich den Ellbogen an der offenen Schranktür stieß.
Die Krähe stieß ein weiteres Krah aus, und hätte Babel es nicht besser gewusst, sie würde denken, der Vogel lachte sie aus.
Doch Babel nahm durch die Augen der Krähe nicht nur die eigentliche Welt wahr, sondern auch die magischen Energien, die alles durchzogen, denn manche Tiere konnten Magie sehen. Auch das war ein Grund, warum Judith mit ihnen arbeitete.
»Ich mag keine Asche an meinen Händen. Oder Kleidern«, pflegte sie zu sagen, und Babel konnte die Vorteile erkennen.
Sie sah das Glühen, das von den Statuen ausging. Ihre Stahlschränke schimmerten in allen Regenbogenfarben, und durch die Luft zogen sich magische Wellen wie in einer bizarren Unterwasserwelt. Auch eine schwache Spur Weiß zeigte sich dort, wo die Überreste des Hahns lagen.
Der Zauber funktionierte also.
Von nun an würde Babel Totenenergie sehen, wann und wo immer die Krähe welche sah.
Als es ihr endlich gelang, sich normal zu bewegen und auch zu sprechen, ohne sich von dem zweiten Bild im Hintergrund ablenken zu lassen, wickelte sie die Knochen und Fleischfetzen in das Papier. Der Anblick machte sie krank. Gespannt verwischte sie mit der Fußspitze die Kreislinien auf dem Boden und löste somit den Bannkreis. Nach ein paar Sekunden flatterte die Krähe in die Luft und landete auf Babels ausgestrecktem Arm. Sie war froh, dass sie den Regenmantel trug, denn die Krallen waren spitz und gruben sich in das Plastik.
Misstrauisch beäugten sie sich gegenseitig, und plötzlich stand Babel ganz still. Hinter der Krähe sah sie ihr eigenes Gesicht, wie der Vogel es sah, und es raubte ihr den Atem. Sie wechselte in die Perspektive des Vogels und holte das Bild aus dem Hintergrund nach vorn.
Ihr sonst blondes Haar besaß nun eine grünliche Färbung, und ihr magisches Energienetz glühte in einem intensiven Hellblau, durch das sich hellgraue Schlieren zogen. Das Grau war ihre Verbindung zu Sam. Pulsierende Wirbel wanden sich entlang ihres Körpers, dort, wo die Energiezentren saßen, und besonders an den Händen. Sie sah auch die weißen Flecken in ihrem Muster, die von dem Tod zeugten, mit dem sie in Berührung gekommen war. Starr blickten ihr ihre Augen entgegen und wirkten weniger menschlich, als sie es gewohnt war.
Das bin nicht ich.
Babel erkannte sich in dem Bild der Krähe kaum wieder. Die Frau, die ihr da entgegenstarrte, war mächtig. Die Magie wand sich um sie wie eine Schlange, und fast wäre Babel vor ihrem eigenen Bild zurückgeschreckt.
Ist es das, was Sam während unserer Rituale gesehen hat?
Sie blinzelte, und es dauerte ein Dutzend Herzschläge, bis sie sich an das Bild gewöhnte.
Die Krähe zwinkerte. Zumindest sah es so aus. Nur schwer konnte sich Babel von dem Anblick lösen.
»Okay, here we go.«
Vorsichtig öffnete Babel die Kellertür und trug den Vogel nach oben. Im Garten ließ sie ihn frei fliegen. Wie Judiths Taube zuvor suchte sich auch die Krähe einen Platz auf einem Baum und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Sie war nun so lange an Babel gebunden, bis sich der Zauber auflöste oder Babel ihn brach.
Zufrieden ging sie zurück ins Haus, entsorgte die Ritualreste und brauste erst den Regenmantel und dann sich selbst unter der Dusche ab. Allein für solche Zwecke hatte sie sich ein Kokosshampoo gekauft, das so stark roch, dass es alle anderen Gerüche vertrieb. Der Regenmantel hing nun wie ein erlegtes Alien über der Wanne.
Anschließend ging sie noch einmal in den Keller zurück, in dem es noch
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