Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
die zweifellos als Ahnengalerie herhalten mussten, auch wenn sie in Wirklichkeit flämisch statt französisch waren.
Kaum hatte das Mädchen Babel allein gelassen, überprüfte sie den Raum auf Schutzwälle und magische Energien. Aber es war nichts zu finden außer einer schwachen Spur, die auf die permanente Anwesenheit einer Hexe hindeutete.
Die Krähe saß wie erwartet auf dem Fensterbrett, angelockt durch ihre Verbindung, und blickte in den Raum. Babel wechselte in die andere Perspektive, und das Bild im Hintergrund trat nach vorn. Weil die Krähe durch Glas sah, verzerrte sich das Bild, trotzdem konnte Babel das magische Muster gut erkennen. Doch der Vogel sah nichts, was sie nicht auch spüren konnte. In diesem Zimmer war jedenfalls keine Totenenergie zu finden.
Überhaupt war das magische Netz in diesem Gebäude schwach ausgeprägt. Babel hätte sich nie an einem solchen Ort niedergelassen, aber Madame fehlten vermutlich die Antennen, um das zu spüren.
Gerade als sich Babel vom Fenster abwandte und wieder in ihre eigene Perspektive wechselte, betrat Madame Vendome den Raum durch eine Flügeltür und entsprach in der Tat ihrem eigenen Klischee.
Sie war eine kurvenreiche, attraktive Enddreißigerin mit tiefrotem, wallendem Haar und grünen Augen, gekleidet in eine goldene Robe. An den Ohren hingen Gemmenohrringe. Auf den Innenseiten ihrer Unterarme waren Runen tätowiert, die das einzig echt Magische an ihr waren. Madame Vendome benutzte also tatsächlich Bilder und Sprüche für ihre Magie.
Sie hatte einen Schutzwall aufgebaut; sanfte Wellen gingen von ihr aus, die Babel kaum erreichten. Wenn sie es darauf anlegte, konnte sie den Schutzwall leicht zerstören. Für einen kurzen Moment musste sich Babel konzentrieren, um der fremden Magie nicht entgegenzuwirken. Das wäre unhöflich gewesen.
Madame reichte Babel nicht die Hand, deutete aber auf einen der Sessel, also setzte sich Babel und streckte die Beine aus. Eine Weile musterten sie einander. Es war ein bisschen wie bei Tieren, man musste sich erst mal beschnuppern, bevor man zubiss.
»Ich hatte nicht mit deinem Besuch gerechnet«, sagte Madame irgendwann mit einer tiefen Stimme, die sich Babel bei einer Chansonnette eigentlich ganz gut vorstellen konnte. Dabei faltete sie die Hände im Schoß, deren Nägel genauso golden waren wie ihre Robe.
»Tut mir leid, dass ich hier so reinplatze.«
»Ich muss zugeben, dass ich darauf gewartet habe, dass wir uns endlich begegnen.«
»Ach ja?«
Madame nickte. »Als du hergekommen bist, hat es keinen Tag gedauert, bis wir dein Energienetz spüren konnten. Clarissa war nicht begeistert.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Aber du bist noch hier.« Ihr Blick bekam etwas Lauerndes, und Babel wurde klar, dass sie die Auseinandersetzung mit Clarissa verfolgt hatte, ohne sich einzumischen. Wahrscheinlich hatte sie sich zurückgelehnt und abgewartet, wer als Sieger daraus hervorgehen würde, und war nun enttäuscht, dass sie beide noch lebten.
»Deswegen bin ich nicht hier«, sagte Babel, und Madame entfuhr ein überraschtes »Mhm«. Dann fügte sie an: »Du suchst nicht nach Verbündeten?«, und ihr Blick wurde misstrauisch.
»Nein. Ich habe einen Auftrag übernommen.«
Und wenn ich einen Verbündeten suche, dann sicher einen mit mehr Schlagkraft, meine Gute.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Madame in die Morde verwickelt war, schien Babel gering. Sie besaß einfach nicht den Mumm, um diese Art Zauber durchzuführen, und die Krähe konnte auch keine Totenenergie sehen. Nicht mal an der Hexe selbst, wie Babel erkannte, als sie kurz die Perspektive wechselte. Sie schien in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Blutritual durchgeführt zu haben.
»Worum geht es dann?«
»Mord.«
Sie versteifte sich, und Babel seufzte.
»Nein, ich habe keinen Mordauftrag angenommen, sondern seine Aufklärung. Macht es dir etwas aus, mir zu sagen, wo du an folgenden Tagen warst?« Sie reichte ihr einen Zettel, auf dem die Daten standen, und lehnte sich zurück. Während sie die Zahlen las, beobachtete Babel ihr Gesicht, konnte aber außer einer leichten Gereiztheit nichts erkennen.
»Wieso fragst du mich das? Wie kommst du ausgerechnet auf mich?« Ihre Augen verengten sich misstrauisch zu Schlitzen.
»Es hat nichts mit dir persönlich zu tun, es geht darum, dass du magisch aktiv bist.«
»Das ist unverschämt. Immerhin heißt das, dass du mich verdächtigst, weil ich eine Hexe bin.«
Herrje, sie wollte doch hoffentlich keine
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