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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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    |7| ERSTER ABSCHNITT
Die Urgeschichte des Helden
    Johannes Gäntschow wurde am zwölften März 1893 als Sohn einfacher Bauersleute auf der Insel Rügen, und zwar auf deren Halbinsel Fiddichow, geboren. Der Hof Warder, auf dem diese Geburt stattfand, liegt etwa fünfzehnhundert Meter von Kirchdorf entfernt, allein unter uralten Linden und Pappeln. Auch von der Landstraße zum Suhler Hafen hält er sich eine Schlagbreite ab. Dort, wo der Fahrweg zum Hof von dieser Straße abzweigt, hatte schon Malte Gäntschow, des Johannes Großvater, das Schild auf einen Pfahl gestellt:
     
    Hier wohnt Malte Gäntschow
    Kauft nichts – Verkauft nichts und empfängt auch keine Besuche.
     
    Da er aber den Lesekenntnissen seiner Mitmenschen mißtrauen mochte, da er auch als Bibelkundiger den Spruch kannte »Verstehest du auch, was du liesest?«, so wurde weiterhin auf dem Hof stets eine ganze Meute von Hunden gehalten, die jeden leichtsinnig die Tafel Mißachtenden heulend, zähnefletschend, anspringend, kleiderzerreißend empfing.
    Diese Hunde, wahre Nachkommen des deutschen Schäferspitzes, in weißen, hell- wie dunkelbraunen, sowie schwarzen Färbungen, mit listig verschlagenen, aber auch mutigen Wolfsköpfen, hatten sich schon unter des Johannes Großvater Malte so vermehrt, daß ihrem Tätigkeitsdrang wie ihrer Freßlust der heimische Ausbauhof zu eng wurde. In Banden zu zwölf und fünfzehn durchstreiften sie die ganze Halbinsel, sie wurden ebenso auf Sagitta gesehen wie in Schranske, sie jagten in Leerhof die geängsteten Schafe um den Tüder, bis |8| sie zusammenbrachen, und veranstalteten auf der Kerbe Treibjagden auf Kaninchen.
    Rauh und zottig, mit wild funkelnden Augen, die Narben vieler Schlachten auf dem Leibe, mit zerrissenen Ohren und hinkend von den Schrotschüssen ihrer Feinde, versteckten sie sich abenteuernd längs des Feldwegs in einem Kornfeld. Kam dann ein Bauernmädchen mit seinem Einholkorb von Kirchdorf, so sah es plötzlich einen schmutzigen, demütigen Hund vor sich auf dem Boden kriechen, hilfeflehend zu ihr emporlechzen. Setzte sie den Korb ab, beugte sich mitleidig zu dem Verendenden, so war plötzlich die ganze, gespenstisch von hinten angeschlichene Meute in ihren Röcken, kniff und fetzte, und, während sie aufschreiend sich zu retten suchte, der vermeintlich Sterbende durch ihre Beine kroch und sie zu Fall brachte, rollte der Korb mit den Einkäufen im Gras. Die Hunde entflohen, lautlos wie ein Spuk, das Freßbare mit sich schleppend. Das arme Mädchen aber hatte im Korn die Nacht mit ihrem verhüllenden Dunkel zu erwarten, da es nicht rocklos in Büxen, manchmal auch sommertags ohne Büxen, heim ins Dorf konnte. Aber ging sie auch noch so spät heim, es kam doch immer heraus, und dröhnendes Gelächter und grobe Späße folgten ihr noch lange.
    Wasser und Wind, ein unbeständiger, meist grauer Himmel, endloser rauher Winter und spätes Frühjahr, schwieriger Ackerbau, von Schiffbruch bedrohte Seefahrt haben die Bewohner dieser Halbinsel wohl wortkarg und rauh, aber auch derben Späßen und lautem Gelächter geneigt gemacht. Zwar wehrten sie sich mit Steinen, Stöcken und Schießprügeln gegen die Gäntschowsche Hundepest, erschlugen und vergifteten, so viele sie nur konnten, aber den Gäntschows nahmen sie das nicht weiter übel: wer keinen Sparren im Hirnboden hat, ist kein Fiddichower, doch wer einen derben hat, ist den Fiddichowern grade recht. Es ist eigentlich eine Zufallssache: entweder wird man bei solchem Klima hintersinnig und ein Spökenkieker, oder man läßt ein paar Fliegen burren, sich und der Nachbarschaft zur Freude.
    |9| Einmal wurde von einem ahnungslosen Nichteingeborenen der Landjäger, der damals noch Landgendarm hieß, in Sachen Gäntschowscher Hunde mit einem Einspruch bemüht. Er lauerte den Bauern Malte listig in einem Wasserloch ab, wie sie dort häufig in die Äcker eingesprengt sind, von Weiden und Espen umstanden. Es war ein heißer Sommertag, der Bauer stand nackt im Loch und spülte sich die schwarzzottige Brust. Zwei Hunde lagen rasch atmend im grünen kühlen Gras, der eine schön schwarzbraun wie ein kühner Löwe, der andere sanft weißgelb, als könnte er kein Wässerchen trüben, doch mit listigem Auge. Beide Hunde klopften freudig mit den Schwänzen ins Gras, als sie den Gendarmen sahen. Der aber hätte schwören mögen, daß es eben dieses weißgelbe Katzenauge gewesen war, das vor ein paar Tagen in der Dämmerung eine wütende Attacke auf seine

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