Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
hieß schon immer so.«
»Deine Eltern haben dich Babel genannt? Bei der Geburt?«
»Na ja, vielleicht nicht direkt bei der Geburt. Das ist eine längere Geschichte, vielleicht erzähl ich sie dir irgendwann.«
Fast enttäuscht sah Tamy auf das Klingelschild. »Irgendwie hatte ich mir das mit der Hexerei schon ein bisschen interessanter vorgestellt.«
»Na ja, es gibt ein paar Hexen, die für das organisierte Verbrechen arbeiten«, versuchte sie, der Hexerei einen glamourösen Anstrich zu geben. »Oh, und ich glaube, auch für die Regierung! Natürlich nur heimlich, denn wenn die jemals von uns Wind kriegen, landen wir vermutlich alle bei geheimen Auslandseinsätzen im Dienste Ihrer Majestät.«
»Also ehrlich, bis jetzt bin ich nicht sehr beeindruckt.«
Das glaubte sie gern. Um Tamy ein erstauntes Schnaufen zu entlocken, bedurfte es wahrscheinlich einer Dämonenbeschwörung, einer geistigen Inbesitznahme oder des ein oder anderen Liebestranks.
»Okay, genug Vorspiel. Wenn ich in einer halben Stunde nicht wieder unten bin, dann stürmst du die Wohnung. No matter what. Wenn was zu Bruch geht, übernehme ich dafür die Verantwortung.«
Tamy schob die Brille auf die Nase und bezog mit verschränkten Armen neben der Tür Stellung. »Geht klar.«
Nach einem letzten Blick auf die Krähe im Baum drückte Babel auf die Klingel. Es dauerte nicht lange, bis das typische Knacken in der Gegensprechanlage zu hören war.
»Ja bitte?«, fragte eine Frauenstimme mit französischem Akzent.
»Hier ist Babel.«
»Wer?«
»Eine Kollegin.«
»Madame ist zurzeit nicht zu sprechen.«
»Hör mal, Schätzchen, warum sagst du deiner Madame nicht, dass eine Hexe vor der Tür steht und mit ihr reden will.«
Es blieb ruhig, aber nach ungefähr einer Minute ertönte das Summen der Tür. Babel nickte Tamy zu und schlüpfte in den Hausflur.
Madame lebte nicht schlecht. Die Stufen waren aus Marmor, und an den Wänden liefen bronzene Handläufe nach oben. Ein roter Teppich dämpfte die Schritte im Eingangsbereich, und ein Messingschild verkündete die Namen der Mieter, ganz so, wie man es von einer Madame Vendome erwarten würde, die behauptete, von einem illegitimen Sohn Henri IV . abzustammen.
In Wirklichkeit war sie jedoch nur Sonja Schubert aus Freital, die ein halbes Jahr in Frankreich gelebt hatte, bevor ihre Karriere als Chansonnette den Bach runtergegangen war. Erstaunlich, wenn man bedachte, dass sie ihr Publikum ja verzaubern konnte. Ihre Spezialität waren Tränke, die sie für ein Vielfaches der Herstellungskosten an dieselbe Art Leute verkaufte, die auch Karl und Babel engagierten. Darüber hinaus bewegte sie sich in einem Kreis gut verdienender Langweiler und Gelangweilter, die versuchten, eine Epoche wiederzubeleben, die bei näherer Betrachtung gar nicht so glamourös gewesen war, wie sie es sich vorstellten. Die Belle Époque klang schöner, als sie tatsächlich gewesen war. Das hielt diese Damen und Herren aber nicht davon ab, andächtig Madame Vendome zu lauschen, die sich ganz im Stil dieser vergangenen Zeit inszenierte. Dabei war sie im Grunde eine bessere Apothekerin.
Fast hätte Babel gelacht, als das Mädchen, das die Wohnungstür öffnete, tatsächlich eine französische Zimmermädchenuniform trug. Es war eine zierliche Brünette mit einer niedlichen Stupsnase und einem geraden Bob, die aussah, als wäre sie einer Persil-Anzeige um die Jahrhundertwende entstiegen. Sie machte einen Knicks, während Babel an ihr vorbei die Wohnung betrat.
»Madame erwartet Sie im Grünen Salon.«
»Na dann.« Sie folgte der Kleinen einen breiten Flur hinunter, in dessen Mitte ein runder, frei stehender Kamin eingebaut war, der nach Holzasche und Rosmarin roch. Madame hatte wohl eine Auralesestunde organisiert. Im Flur hingen Fotografien, zweifellos von berühmten Leuten, die ihren Weg in Madame Vendomes erlauchten Kreis gefunden hatten. Babels Stiefel hallten laut auf dem Parkett. In den Wandnischen lagen Masken, Figuren und winzige Glaskugeln in unterschiedlichen Farben: magisch aufgeladene Objekte. Als Babel an ihnen vorüberging, prickelte ihre Haut wie bei einem Windspiel, dessen einzelne Teile angeschubst wurden und aneinanderstießen. Aber die Objekte waren harmlos. Magischer Schnickschnack ohne echte Macht.
Der Grüne Salon entpuppte sich als genau das: ein Raum mit grünen Streifentapeten, in dem Bücherregale und teuer aussehende Sessel mit burgunderfarbenem Bezug standen. An der Wand hingen alte Porträtgemälde,
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