Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
war.
    Auch den Krach hörte er nicht. Als Babkin das Kruzifix plötzlich losließ, wurde – dem physikalischen Gesetz gehorchend – Waninow das Opfer seiner eigenen Zugkraft. Mit dem Kruzifix in beiden Händen schoß er rückwärts in den Altar, brach mit ihm zusammen, ging zwischen den Trümmern unter, stieß sich mehrmals das zersplitternde Holz in den Körper und lag dann unbeweglich in einem Haufen von Holz, gestickten Decken und Kerzenhaltern, niedergedrückt von dem auf seiner Brust liegenden bronzenen Kreuz, das – man weiß es jetzt – zwei Männer hatten tragen müssen.
    Waninow brauchte einige Minuten, um sich in den Trümmern so weit zu erholen, daß er sich unter dem Kreuz wegwälzen und aus den Trümmern des Altars steigen konnte. Gesiegt, rief es in ihm. Gesiegt! Ich habe Babkin besiegt! Das Kreuz bleibt bei mir! Sollte man jetzt nicht die Glocken läuten?
    Schwankend zog er sich an einer Säule hoch, holte noch ein paarmal tief Atem und sah sich dann nach Babkin um.
    Wadim Igorowitsch lag auf dem Rücken, die Arme weggespreizt, als sonne er sich, aber sein Blick war leer und starrte in die Kirchenkuppel. Auch sein Atem war weg, was Waninow sofort auffiel. Nach einem solchen Kampf japst der Unterlegene nach Luft, aber er liegt nicht da, als sei er aus Holz geschnitzt.
    »O nein!« sagte Waninow erschüttert und zweifelnd zugleich. »Wadim Igorowitsch, Brüderchen, tu uns das nicht an … nicht noch einmal! Heb den Kopf und sage: Ich lebe. Babkin, mein Lieber, rühr dich …«
    Er tastete über Babkins Gesicht: Der Schweiß war kalt, über die Lippen kam kein Hauch mehr, die gebrochenen Augen waren wie mattes Glas, und die Hand, die Waninow zögernd ergriff, fühlte sich plötzlich fremd an, schlaff und wie vom Körper losgelöst.
    Wenn er jetzt wirklich tot ist, dachte Waninow, muß ich für seine Seele beten … Ist er es wieder nicht, so schadet's auch nicht – also beten wir.
    Er neigte das Haupt, faltete, neben Babkin knieend, die Hände und sprach die Bitte um Erlösung von allen Sünden und um die Aufnahme in das göttliche Reich. Dann sang er noch eine Strophe des Totenchorals ganz leise in seinen vom Schweiß nassen Bart hinein, segnete Babkin und erhob sich dann, um Dr. Poscharskij zu holen.
    Im Garten arbeitete gerade Sobakin, der Totengräber und Zählerableser, grub ein Beet um und schwang sich sofort auf sein Fahrrad, als Waninow ihn anschrie: »Hol den Genossen Arzt! Schnell! Schnell! Babkin scheint einen schlechten Tag zu haben.«
    Danach lief Waninow in die Kirche zurück, verschloß zum erstenmal, seit er Priester war, die Pforte und hockte sich neben Babkin auf die Erde. Er lag noch immer so da wie vor einigen Minuten, und jeder, der ihn angesehen hätte, würde gesagt haben: Was wollt ihr? Der Mann ist tot.
    Nur bei Babkin war man sich da nicht so sicher, das verstehen wir alle, Genossen.
    Fast eine Stunde dauerte es, bis Dr. Poscharskij von rückwärts durch die Privatwohnung Waninows die Kirche betrat. Ein einziger Blick zeigte ihm, warum man ihn gerufen hatte. Poscharskij ließ seine Arzttasche fallen, suchte Halt auf einem Chorstuhl und warf den Kopf in den Nacken.
    »Nein!« sagte er dumpf. »Nein! Nicht schon wieder! Das übersteigt meine Kräfte.«
    »Wadim Igorowitsch ist tot.« Mit feierlicher Stimme gab Waninow seine Überzeugung kund. »Wirklich tot …«
    »Wer sagt das, Sidor Andrejewitsch?« keuchte Poscharskij.
    »Ich war Zeuge, als er starb.«
    »Was besagt das? Es gab auch Zeugen, als Babkin vor dem Regal mit Wasch-, Putz- und Scheuermitteln in seinem Basar umfiel und tot war. Und was war er? Scheintot! Was soll ich hier?«
    »Babkins Tod feststellen, Bairam Julianowitsch …«
    »Nie! Nie und nimmermehr! Bei Babkin stelle ich nichts mehr fest. Vor knapp zwei Stunden war er noch bei mir, giftig wie eine Schlange – und jetzt soll er wieder tot sein? Wer glaubt ihm das, he?« Dr. Poscharskij zeigte auf den zertrümmerten Altar. »War er das?«
    »Nein – nur die Auswirkung eines physikalischen Gesetzes. Eine Art Fliehkraft …« Waninow umschritt den toten Babkin ein paarmal, als umwandle er einen heiligen Schrein. »Ich sage dir: Jetzt ist er tot! Keine Atmung.«
    »Hatte er beim erstenmal auch nicht …«
    »Keine Reflexe …«
    »Besagt gar nichts!«
    »Der leere, gebrochene Blick …«
    »Kann eine Eigenart des Krampfes sein …« Dr. Poscharskij beugte sich aus seinem Chorstuhl etwas nach vorn und betrachtete Babkin mit flackernden Augen.
    Zugegeben: Wenn

Weitere Kostenlose Bücher