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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Angst durchrieselt bis zum Seitenaltar zurück, schlüpfte hinter den eisernen Ständer, auf dem Babkins gestiftetes Kruzifix stand, und verkrallte die Hände in seinem Bart.
    »Wenn Gott nach einer Beichte die Sünden vergibt, sollte auch der Mensch nach einem Geständnis Milde walten lassen!« erklärte Waninow mit Überzeugung. »Du willst das Kreuz zurückhaben. Warum?«
    »Wegtragen aus dieser Kirche will ich es und stiften dem heiligen Demetrius von Kasan. Verwundert dich das, Sidor Andrejewitsch? Geh weg von meinem Kreuz! Es soll nicht nach dir stinken!«
    »Geschenkt bleibt geschenkt!« brüllte Waninow. »Was soll man den Gläubigen von Ulorjansk erzählen, wenn ihr geliebtes Kruzifix weg ist? Babkin hat es zurückgeholt – soll ich das sagen? Warum hat er es zurückgeholt?«
    »Um es vor dir zu retten! Gestiftet war es zum Lob Gottes – aber was für ein Diener Gottes treibt hier sein Unwesen? Na? Ein Heuchler, ein Jungfrauenschänder, ein Bastardvater, ein Lügner … Aus dem Weg, Sidor Andrejewitsch! Das Kreuz kommt zu mir zurück!«
    Fast gleichzeitig stürzten sie zu dem Kruzifix hin, gleichzeitig umklammerten sie das Kreuz – Babkin am unteren Querbalken, der Fußstütze Christi, Waninow am geheiligten Korpus selbst – und gleichzeitig zerrten sie daran, Babkin nach vorn, Waninow nach hinten.
    Welch ein Anblick! Da kämpften sie um Zentimeterchen, mal nach vorn, mal zurück. Stark und kräftig waren sie beide, und das schwere bronzene Kreuz hatte ebenfalls sein Gewicht, was schon dadurch bewiesen war, daß seinerzeit zwei Mann Babkins Geschenk in die Kirche schleppen mußten und gewaltig dabei schwitzten.
    »Laß es los!« keuchte Waninow und blies seinen Atem Babkin ins Gesicht. Die Adern schwollen an seinen Schläfen und seinem Hals, so sperrte er sich gegen Babkin, der ihm gegenüber nicht minder kräftig in seine Richtung zog. »Du beschädigst die Füße des Herrn …«
    »Und deine Fettfinger liegen an seinem Bauch!« röchelte Babkin und rang nach Luft. »Übergeben wird er sich gleich … Herr im Himmel, ich leide mit dir.«
    Und so ging es weiter, ruck hin, ruck her, begleitet von Ächzen und Stöhnen, Seufzern und Husten aus gepeinigten Lungen, vom Geknirsche der Zähne und dem Scharren der nach einem festen Stand suchenden Stiefel.
    Schweiß troff von den Gesichtern, als sei jede Pore eine kleine Quelle, und rot waren ihre Köpfe, als hätten sie in glühender Sonne gelegen. Aber keiner von ihnen gab auch nur einen Zentimeter nach, und verlor man bei einem Ruck ein bißchen an Boden, stellte der Gegenruck das Gleichgewicht wieder her.
    Babkin begannen nach ein paar Minuten die Beine zu zittern und das Herz zu schmerzen. Starr sah er Waninow an, der mit weit offenem Mund und prustend wie eine alte Dampflok in keiner besseren Verfassung war als er. Aber seine Kraft ließ nicht nach, und so war Babkin gezwungen, noch mehr aus seinen Muskeln herauszuholen, obwohl er sich sagte: Es geht nicht mehr.
    Ruck hin … ruck her … Der Schweiß verschleierte den Blick, brannte in den Augen, lief in den offenen Mund, rann über den Hals. In den Adern am Kopf und in der Brust hämmerte schmerzhaft das Blut, und ab und zu, als sei man sich wortlos einig, unterbrachen die beiden Kämpfer das Gezerre.
    Dann drückten sie die Stirnen an das Kruzifix und erfrischten sich an dem kühlen Metall, hauchten sich gegenseitig mit ihrem heißen, röchelnden Atem an. Aber danach strafften sie sich wieder, sahen sich mit funkelnden Augen an und griffen von neuem zum Kreuz.
    Ruck hin … ruck her …
    »Nur über meine Leiche bekommst du es …«, keuchte Waninow und schielte dabei fürchterlich vor Entkräftung. »Nur, wenn du auch mein Herz mit herauszerrst …«
    »Dann mach deinen Kittel auf!« schrie Babkin mit dampfendem Atem. »Laß sehen, ob da überhaupt ein Herz ist … Gib es auf, Sidor Andrejewitsch, ich bin der Stärkere!«
    Es waren, wie man so sagt, die letzten Worte von Babkin, wenn man davon absieht, sein röchelndes »O Gott!« noch hinzuzurechnen.
    Um ihn herum veränderte sich plötzlich die Welt. Alles wurde wundervoll glänzend, Waninows schweißtriefender Schädel vergoldete sich, das Kruzifix war plötzlich so leicht, als sei es aus Watte – überhaupt: Es gab keine Schwere mehr, seine schmerzenden Beine schwebten, die Ikonostase schien zu blühen wie ein Zaubergarten, und selbst noch, als Babkin zu Boden sank, war es ihm, als falle er in eine duftende Wiese, die noch kühl vom Morgentau

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