Babkin, unser Väterchen
Walentinas Stuhl; allerdings schob sie ihn einen Meter von dem Tisch und dem darauf liegenden Väterchen weg.
»Wie geht es Mütterchen?«
»Narinskij ist bei ihr und tröstet sie.«
»Und Arune Jelisaweta, seine Frau?«
»Sie sitzt im Bett, sagt Narinskij, und weint Tränen wie ein Wasserfall.« Nelli kroch in sich zusammen und hatte Angst, mit Babkin allein zu sein. »Schlaf gut, Schwesterchen.«
Walentina nickte und verließ die Kammer. Draußen wartete Waninow, strich über seinen Bart, ließ seinen Blick an Walentina hinuntergleiten und fragte väterlich: »Erschüttert siehst du aus, Walentja, hohläugig. Findest du Ruhe zu Hause? Wäre es nicht gesünder, bei mir zu schlafen?«
»Was bist du nur für ein Mensch!« rief Walentina erbost, so wütend, daß Waninow sich hastig zwei Schritte aus ihrer Reichweite entfernte. »Da drinnen liegt mein totes Väterchen, und du denkst an Hurerei! Wie abgrundtief schlecht bist du doch!«
»Nur beschützen will ich dich, mein Schwänchen … dein gebrochenes Herz zusammenflicken …«
»Und mir ein neues Kind machen, was? Das ist vorbei mit uns, Sidor Andrejewitsch. Versprochen habe ich es Väterchen, dich nie wieder an mich heranzulassen!«
»Wußte ich's doch! Wußte ich's doch!« schrie Waninow und warf die Arme hoch. »Was Babkin mit mir angestellt hat, war nicht alles. Die Hauptsache schlägt er mir jetzt um die Ohren. Oh, ich Armer! Ich bin der größte Geschädigte …«
Er ließ Walentina aus der Kirche, kehrte zur Kammer zurück, trat an den Tisch und ballte die Fäuste.
»Wadim Igorowitsch«, knirschte er, »der größte Halunke unter dem Himmel bist du. Der letzten Freude meines Alters hast du mich beraubt. Was soll ich an deinem Grab predigen, wenn du wirklich tot bist? Soll ich singen: Hosianna, wir sind ihn los? Meine Hände werden zittern, wenn ich das Weihrauchgefäß über dir schwenke und dich mit Weihwasser benetze. Ha, den Weihrauchkessel müßte ich dir ins Gesicht schleudern … Aber vielleicht wachst du davon wieder auf. Sieh mich an, Babkin: Zum Greis hast du mich gemacht ohne Walentina …«
Er verließ gebeugt die Gerümpelkammer und ließ Nelli in sprachlosem Erstaunen zurück. Sie begriff das alles nicht … Wie kann man auch begreifen, daß der ehrenwürdige Pope und Walentina … gesteht es ein, Genossen: Ihr hättet euch auch gewundert und lange darüber nachgedacht.
Gegen Morgen, zusammen mit Nina Romanowna, die Nelli ablöste, kam Narinskij in die Kirche, gemeinsam mit Sapanow, dem Briefträger, und Bobo, dem Milizionär.
»Er sieht wirklich anders aus als neulich«, sagte Bobo mit geübtem Polizistenblick. »Er muß tatsächlich tot sein.«
»Abwarten.« Narinskij, der eine Flasche Wodka ganz allein geleert hatte, lehnte sich schwankend an die Tischkante. Seine Augen rollten trunken hin und her, in Abständen von einer halben Minute durchrüttelte ihn ein heftiger Schluckauf. »Nur Ruhe, mein Freund, nur Geduld. An einen Stier denke ich da, den wir geschlachtet haben. Den Schuß bekam er, bumm, fiel er um. Aber wie wir ihn an den Ketten hochziehen wollen, springt der Bursche plötzlich auf und stürmt auf uns zu. Zwei Schwerverletzte hat's gegeben, Freunde. Seitdem sage ich: keine Eile. Erst, wenn er aufgeschlitzt ist …«
»Wir können doch Wadim Igorowitsch nicht aufschlitzen!« schrie Nina Romanowna grell.
»Wer will denn das?« Narinskij schwankte zu dem Stuhl, den Nelli für ihre Mutter geräumt hatte, ließ sich darauf fallen und vergrub seinen Kopf in beiden Händen. »Alles ist so tragisch«, stammelte er. »So tragisch. Man kann nur noch weinen.«
Und das tat er auch … Betrunken lehnte er den Kopf an die Wand und begann zu schluchzen, und Bobo, von jeher ein Mensch, der Mitleid empfinden konnte, holte sein Taschentuch heraus und trocknete Narinskij mehrmals das Gesicht.
Als die frühe Morgensonne noch bleich über den Wäldern emporstieg und das Grün der Bäume mit einem Dunstschleier ganz merkwürdig färbte, kam Dr. Poscharskij wieder in die Kirche, trat vor Babkin, hob schnuppernd die Nase, zog ein Augenlid von ihm hoch, drückte den Zeigefinger kurz in seinen Hals und sagte dann mit zufriedenem Ton:
»Wadim Igorowitsch Babkin ist wirklich tot. Ich verbürge mich dafür. Einem Begräbnis steht nichts mehr im Wege.«
»Gelobt sei der Herr!« rief Waninow mit gewaltigem Baß. »Nimm unseren Bruder gnädig auf. Amen.«
Es war der Augenblick, wo alle Anwesenden sich in die Arme fielen und zu weinen
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