BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Am Eingang zum Korridor der Zeit war ein fremdes Bewusstsein in sie eingefahren. Zum selben Zeitpunkt, als sie Anum begegnet war, hatte sie sich auch mit einer Seele aus ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert gesehen: mit Beth MacMoore, die zwei Jahre ihres Lebens mit ihr geteilt und dafür mit ihrem Leben gebüßt hatte...
Beth ist unwiederbringlich tot,
dachte sie beklommen.
Sie ist in mir gestorben. Aber sie hat mir einen Schatz hinterlassen, der mir mehr wert ist als alles, was die CHRONIK mir vermitteln konnte!
So war es tatsächlich. Im Moment ihres endgültigen Dahinscheidens hatte Beth ihre ganze Erinnerung auf Heaven abgeladen. Auch die Erinnerung an das lange zweite Leben, das sie von 1618 bis 1705 geführt hatte, nachdem sie durch eines der Tore des Zeitkorridors ins ferne Gestern geschleudert worden war. Als pure Seele. Denn Beth' wahrhaftigen Körper hatte Heaven auf dem Gewissen.
Ich habe meine beste und einzige Freundin umgebracht,
dachte sie bedrückt.
Und dann bin ich zum Ende des Korridors aufgebrochen – zum Anfang der Zeit.
Ob sie ihn je erreicht hatte, konnte sie weder der CHRONIK noch der Erinnerung entnehmen, die Beth ihr aufgeladen hatte. Aber Beth hatte ihr Wichtigeres vermacht: Die Erinnerung an die gemeinsamen zwei Jahre. Das war es, was Heaven sicher machte, kein Monster zu sein. Kein Ungeheuer, das Menschenblut
um jeden Preis
trank!
Und Anum? Kannte er gar keine Grenzen?
Was wusste sie über ihn? Nicht viel mehr, als die CHRONIK über ihn verraten hatte.
Aber umgekehrt ist es dasselbe,
dachte sie.
Auch alles, was er über mich weiß, entstammt der Schrift aus Blut und Seelen. Er hat sie ebenfalls gelesen, komplett...
»Du verteidigst Geschöpfe, die du gar nicht kennst. Die dir in keiner Weise nahestehen«, sagte Anum.
»Bist du wirklich so kalt und gefühllos, dass du bereit wärst, über die Leben von Kindern hinwegzugehen?«
»Das tat ich tausend Jahre lang«, erinnerte Anum sie daran, dass er als Hüter des Lilienkelchs von Ort zu Ort, von Sippe zu Sippe gereist war und die Nachkommenschaft der Vampire gesichert hatte.
Die Alte Rasse.
Ich bin ihm nicht gewachsen
, dachte Heaven.
Er sieht sich außerhalb jeder Moral. Er akzeptiert keine Regeln, denen auch er sich unterwerfen müsste – um der Menschlichkeit willen!
Menschlichkeit? Anum war, anders als die Kelchkinder, nie ein Mensch gewesen. Er war als die personifizierte Macht geboren worden. Von einer Mutter, die zu Gottes ersten Schöpfungen gehört hatte – und entartet war.
»Aber du hast sie nicht dauerhaft getötet. Sie tranken Blut aus dem Unheiligtum und erstanden zu Vampiren auf.«
»Vorher starben sie. Und vergaßen ihre Herkunft. Vergaßen ihre leiblichen Mütter und Väter. – Wenn du ein Ungeheuer in mir sehen willst, dann müssten die Taten meiner Vergangenheit dir reichen, es zu können!«
»Ich
will
dich nicht so sehen...«
»Und ich will nicht, dass unsere Beziehung an einer Nichtigkeit zerbricht.«
Nichtigkeit?
Heaven schauderte. Das, was von Beth MacMoore in ihr weiterlebte, schürte ihr Entsetzen. Im Korridor der Zeit hatte deren Menschlichkeit das Böse neutralisiert, das seit Yucatán in Heaven wucherte. Seit sie einem indianischen Vampir begegnet war, der sie mit dem Bösen infiziert und auch in ihr vorübergehend jedes Gespür für Skrupel oder Moral erstickt hatte.
Inzwischen unterschied sie wieder zwischen notwendiger Gewalt und sinnloser. Inzwischen wog sie das Für und Wider ihrer Taten so gut es ging ab. Anum scherte sich darum keinen Deut. Er war selbstherrlich und arrogant.
Aber darüber hinaus war er
faszinierend
und besaß ein Charisma, dem sich Heaven nicht zu entziehen vermochte, auch wenn ihr Verstand unentwegt warnte, dass sie sich untreu wurde. Dass sie dabei war, sich selbst aufzugeben und zu verraten, wenn sie bei diesem... Wesen blieb!
Anum hob ihr den Kelch entgegen, der zwischen ihnen auf dem Boden der Kammer gestanden hatte und der einmal das Wertvollste gewesen war, was seine Rasse besessen hatte. Bevor er in falsche Hände fiel, entweiht und verunreinigt wurde!
»Fass ihn an!«, sagte Anum. »Berühre ihn und sag mir, ob du nicht auch fühlst, dass noch alle Möglichkeiten in ihm stecken! Dass nur das Richtige getan werden muss, um ihn wieder in einen Born des Lebens zu verwandeln und den Frevel aus ihm zu tilgen!«
»Ich will ihn nicht anfassen!«
»Du hast Angst?«
»Nur Narren haben nie Angst! Er ist unkontrollierbar geworden – das hast du selbst
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