BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Blutvergießen, aber dann gewinnt der Mond Macht über sie. So war es zumindest bisher. Denn von nun an ist der Wolf allgegenwärtig in euch. Ihr könnt ihn erwecken, wann immer ihr wollt – oder wenn ich es befehle.«
Rona sah in das sanfte Gesicht des Teufels.
»Was wirst du uns befehlen?«, fragte sie und suchte vergebens nach einem Zeichen, dass Gabriels Schilderung der lange vergangenen Ereignisse die rastlose Suche nach ihren Wurzeln befriedigt hatte. Dass sie nun Frieden zumindest in dieser quälenden Frage finden würde.
Aber wie sollte sie Frieden finden?
Sardon war tot! Für alle Zeiten verloren...
In Gabriels Augen blitzte es auf.
»Bist du da so sicher?«, fragte er amüsiert. »Noch ist er nicht tot. Aber er wird sterben – sobald er Jerusalem an der Seite meiner bleichen Kinder erreicht...«
Kind des Grals
Ich habe den Tod gesehen und ahne nun, was uns erwartet. Ich bin kein Held, das war ich nie. Mir ist schlecht vor Angst. Das Fürchten gehört zu den Dingen, die mir nicht verboten sind, seit ich ein Gefangener bin. Durch meine »Fenster« sehe ich, wie du mich anschaust, nur scheinbar frei, denn auch dich werden sie nicht schonen. Sie wissen nicht, was Gnade heißt.
Ich hasse sie, die nicht menschlich sind. O ja, Hass. Auch er ist mir geblieben. Und er schwillt an mit jeder Stunde, die ich in meinem Kerker schmachte.
Durch meine Augen blicke ich wie durch dicke Wände aus Glas auf dich, Rahel, geliebte Schwester. Dann hoffe und bete ich, dass dir erspart bleiben möge, was ich erleide, seit ich weggeschlossen wurde. In mir selbst...
»Sag doch etwas!«, flehte das Mädchen. »Irgendetwas!«, Es lag bäuchlings auf dem Fußboden vor dem Sofa, auf dem der Junge saß, der es anblickte.
Scheinbar
anblickte. Sicher war sich das Mädchen nicht.
Der Junge auf dem Sofa war doppelt so alt wie sie: ihr Bruder David. Das Mädchen hieß Rahel. Und Rahel hatte Angst. Erbärmliche Angst, die sie nicht zeigte. Nicht zu zeigen
versuchte
.
Aber in ihr drin, dicht unter einer hauchdünnen Fassade aus Ernst und Fassung, die sie aufrechterhielt, seit sie ihre toten Eltern im Staub und Schmutz der unterirdischen Kirche hatte liegen sehen, unter dieser Schminke herrschte Chaos. Nacktes Entsetzen und... Trauer.
Sie war verzweifelt. Sie war sechs Jahre alt und hatte schon alles verloren, was es zu verlieren gab.
Wie hat das passieren können? Und warum?
»Rede! Sag etwas!«, flüsterte sie erstickt. Sie wusste nicht, zum wievielten Male.
David sah sie nur an. Stocksteif wie eine Puppe hockte er da, seit ihm
befohlen
worden war, sich hinzusetzen. Seine Augen standen weit offen. Kein Wimpernschlag verriet das Leben, das noch in ihm steckte.
Rahel hatte sich auf ihre Ellbogen gestützt. Und ab und zu schloss sie die Augen. Weil sie den Anblick nicht mehr ertrug.
Schlaf fand sie nicht. Es war helllichter Tag, aber schwere Vorhänge dämpften die Helligkeit.
Es war ihr Zuhause. Hier waren sie geboren worden und aufgewachsen.
Nie hatten sie Gewalt am eigenen Leib erfahren. Nie hatten sie unter solchen Ängsten leiden müssen wie jetzt. »Daheim« war zu einem kalten, schrecklichen Ort verkommen, der
nie mehr
ihr Zuhause sein würde...
»Da-vid...«
Rahels Lippen waren wie taub. Dass in ihren Eingeweiden der Hunger rumorte, ignorierte sie. Sie wollte nichts essen. Sie wollte nicht einmal an Essen denken. Nur einfach liegenbleiben, wo sie lag – obwohl die Nähe ihres Bruders zunehmend unerträglicher wurde. Sein stummes Starren. Sein unhörbarer Atem.
Was haben sie ihm angetan?
Er dämmerte in tiefer Hypnose dahin. Der Blick seiner Augen war trüb.
Sie werden ihm ausdörren,
dachte Rahel.
Sie werden ihm elend vertrocknen.
Aus Jux hatte sie einmal versucht, so lange wie möglich
nicht
zu blinzeln. Schon nach kurzer Zeit hatte sie es nicht mehr ertragen, hatte jeden noch so schwachen Luftzug im Raum als schmerzhaften Nadelstich empfunden...
Sie schluckte. Sie hatte Mitleid mit ihrem Bruder. Und manchmal glaubte sie, dieselbe Regung in seinen Augen lesen zu können. Manchmal...
Sie fühlte sich wie zerschlagen, saft- und kraftlos. Die Schwerkraft zerrte an ihr. Eine Kraft, die ihr niemals als solche bewusst geworden war,
bevor
sie Vater und Mutter mit gebrochenen Hälsen zwischen Schutt und Dreck hatte liegen sehen. Aber dieser Anblick, dieses Bild, das sich tief in ihre Seele eingebrannt hatte, war unvergesslich, und es höhlte sie aus. Ganz allmählich, schleichend,
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