Bädersterben: Kriminalroman
halten. »Einmal? Mindestens fünfzigmal! Der Start von den kleinen Flughäfen auf Eiderstedt geht meistens recht gut, und der Flug über das Wattenmeer kann gegen die Sonne, die sich in den Prielen spiegelt, in der Tat sehr schön sein. Aber die beiden verflixt kurzen Landebahnen auf dieser winzigen Badeinsel vor Helgoland, die können einem schon den letzten Nerv rauben. Deswegen dürfen beim Passagierflug dort auch nur Spezialmaschinen starten und landen, die mindestens zwei Motoren aufweisen, und die Piloten müssen eine besondere Ausbildung durchlaufen.«
Na ja, wenn sie dafür ausgebildet sind, dann werden sie ihr Handwerk schon verstehen, tat Stuhr Dreesens Bedenken stumm ab. Ihn interessierte etwas anderes. »Wieso bist du überhaupt schon so oft mit dem Flugzeug nach Helgoland geflogen? Doch wohl nicht dienstlich, oder?«
Schnell nahm ihm Dreesen den Wind aus dem Segel. »Nee, eine Landesdienststelle gibt es meiner Kenntnis nach dort nicht, die man inspizieren könnte. Ich fliege die Strecke immer mit meinem Flugsimulator auf dem Computer ab, so richtig mit Lenkrad und Steuerknüppel.«
»Wie bitte?« Stuhr verschlug es schier die Sprache. Dreesen daddelte am Computer, und weil es für ihn offensichtlich ein schwieriges Unterfangen war, virtuell auf Helgoland zu landen, machte er ihm jetzt Angst vor dem tatsächlichen Flug. Das konnte doch nicht angehen! Dreesen schien seine Gedanken zu ahnen.
»Unterschätze das nicht, Stuhr. Ich habe schon mehr als eine halbe Million Flugkilometer auf dem Buckel, alles in reinstem Handbetrieb bei schwierigsten Wetterbedingungen. Dagegen ist die Linienfliegerei heutzutage doch das reinste Kinderspiel. Die Piloten steigen in die Maschine, reißen einmal den Gashebel nach hinten und stellen auf Automatik um. Dann lassen sie sich von der Stewardess Kaffee bringen. Ich weiß gar nicht, wofür da vorn ein oder zwei Affen sitzen müssen und viel Geld abkassieren.«
Stuhr musste darüber schmunzeln, wie engagiert der Mann sein Hobby gegen den Alltag der Berufspiloten verteidigte. Dreesens fliegerische Kunst in Ehren, doch Angst wegen seines Fluges nach Helgoland schien er sich nicht mehr ernsthaft machen zu müssen. Das erleichterte ihn, aber sein ehemaliger Oberamtsrat war noch nicht am Ende.
»Glaube mir, Helgoland anzufliegen, ist eine ganz besonders heikle Kiste. Ich bin schon überall auf der Welt sauber gelandet, wo es schwierig war. In Hongkong, in Turin, auch in Kabul und selbst in Katmandu, wo jetzt das Unglück mit den vielen Toten war.«
»He, wenn du fünfzigmal nach Helgoland geflogen bist, dann wird das ein echter Pilot doch auch schaffen können, oder?«
Dreesen wiegelte ab. »Das weiß ich nicht. Fünfzigmal bin ich bestimmt schon dorthin geflogen, das ist richtig. Aber ich habe dabei auch 25 Bruchlandungen hingelegt, fast immer Totalschaden. Der Flughafen Düne auf dieser winzig kleinen Nebeninsel von Helgoland, das ist das reinste Schlachtfeld. Überhaupt nichts gegen den täglichen Wahnsinn in der Staatskanzlei, glaube mir.«
Das gab Stuhr wiederum zu denken. Ihn überkam wieder dieses mulmige Gefühl. Worauf ließ er sich da morgen nur ein? Sollte er nicht doch lieber in St. Peter-Ording auf seiner sonnigen Terrasse verweilen? In diesem Moment ging im Nachbarappartement die Terrassentür auf, und zu seiner Verwunderung trat die Blondine von der Seebrücke im Bikini heraus. Sie schienen Nachbarn zu sein.
Sie hatte eine fantastische Figur, und auch ohne Sonnenbrille sah sie ausgesprochen schick aus. Stuhr zog schnell seinen kleinen Bauch ein. Sofort setzte sie wieder ihr spöttisches Lächeln auf.
»Guten Tag, Herr Nachbar. Heute ganz ohne Männerbegleitung?«
Stuhr schluckte. Er klickte auf sein Handy und versuchte, entspannt zu lächeln. »Ja, ab und zu will man ja auch einmal allein sein.«
»Na, dann will ich man nicht weiter stören. Wir hätten ja sonst gemeinsam einen Kaffee nehmen können.«
Sie nickte ihm freundlich zu und verschwand hinter ihrer Terrassentür. Stuhr ärgerte sich. Natürlich hätte er sie gern bei einem Kaffee oder einem Drink näher kennengelernt. Irgendwie erwischte sie ihn immer auf dem falschen Fuß. Sollte er jetzt auf den Flur gehen, um an ihrer Zimmertür zu klopfen und sie einzuladen? Nein, dazu war er zu stolz. Und zu schüchtern. Vielleicht war es gar nicht schlecht, nach Helgoland zu fliegen und sich morgen auf der Terrasse rar zu machen. Übermorgen könnte er dann einen erneuten Anlauf unternehmen. Aber ob
Weitere Kostenlose Bücher