Bädersterben: Kriminalroman
laufen, und dieses überaus angenehme Gefühl entlastete ihn. Er musste mehr über die Anstalt herausbekommen, als Svenja in der letzten Nacht preisgegeben hatte. Er rief sie an, aber sie wirkte überaus angespannt.
»Du, Olli, das passt jetzt überhaupt nicht. Wir führen gerade eine Messung durch, da darf nichts schiefgehen. Ich melde mich nachher. Küsschen.« Damit beendete sie das kurze Gespräch.
So einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, würden die Nachforschungen nach Lage der Dinge also nicht werden. Vielleicht kannte Svenja aber auch nicht mehr Interna, denn sie begann gerade einmal ihr zweites Praktikum in der Anstalt, und auffällig wären seine Nachfragen zudem auch. Nein, er musste einen besseren Weg finden. Er musste zurück in die Höhle des Löwen.
Es war jetzt Mittag, und es war stark zu vermuten, dass sich Dr. Rogge wieder zu seinem Stammtisch begeben würde, von dem Stuhr berichtet hatte. Auch Duckstein würde sich vermutlich im Unterland aufhalten, und so wählte er den Invasorenpfad und den sich anschließenden Klippenrandweg über Mittel- und Oberland, um von beiden ungesehen hintenherum zur Anstalt zu gelangen. Wenn er dort dumm gefragt wurde, dann würde er sich einfach nach Svenja erkundigen.
Entschlossen öffnete er die Eingangstür und marschierte durch den langen Flur und das Treppenhaus in den ersten Stock, in dem er heute Morgen im Müllsack Versteck spielen musste, bis ihm Svenja wenigstens den Kittel eines Kollegen über die Toilettenwand geworfen hatte. Jetzt war die Anstalt wie ausgestorben, vermutlich nutzten die Mitarbeiter die Mittagspause, um sich zu sonnen oder dem bunten Treiben am Hafen zuzusehen. Er lauschte einen Moment an der Tür von Dr. Rogge, aber es war kein Geräusch zu vernehmen. So schlich er einige Schritte weiter und betrachtete das Namensschild der Sekretärin. Ruth Rasmussen. Der Name dieser Familie schien auf Helgoland äußerst weit verbreitet zu sein.
Olli nahm sich ein Herz und klopfte entschlossen an der Tür. Eine tiefe Stimme bat ihn herein. Die Frau, die hinter dem Schreibtisch saß und das Büro von Dr. Rogge beschirmte, war keine Schönheit, aber sie war trotzdem eine freundliche Erscheinung. Vom Mittelscheitel her verdrängten zunehmend silberne Strähnen die braune Farbe ihres Haarschopfes, der recht ungezügelt auf ihre Schultern fiel. Sie musste um die 50 sein, und sie strahlte ihn an. »Oh, endlich einmal ein junger Mann, der mich besucht. Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«
Das war doch schon einmal erfreulich, befand Olli. Er grüßte zurück und stellte sich kurz vor. Dann kam er zur Sache. »Ich wollte mich eigentlich bei Ihrer Anstalt bewerben. Ich dachte mir, wenn ich jetzt schon einmal hier zum Urlaub auf Helgoland bin, dann schaue ich mir den Laden am besten vorher an.«
Sie strahlte ihn weiterhin an, zog eine Schreibtischschublade auf und holte ein Formular heraus. »Na, das war doch eine prima Idee. Wenn Sie wollen, dann füllen Sie jetzt gleich den Bewerbungsbogen aus. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen.«
Das erstaunte Olli. »Werden bei Ihnen denn überhaupt Informatiker gesucht?«
Ihr strahlender Blick wich einem freundlichen Lächeln. »Gesucht werden auf der Insel vor allem kräftige junge Männer. Wenn die denn auch noch ihr Handwerk beherrschen und den Finger vom Alkohol lassen können, dann ist das für alle Beteiligten doppelt gut.« Das war zumindest eine ehrliche Antwort. Sie schien ein gebranntes Kind zu sein.
Olli füllte den Bogen ordnungsgemäß aus, nur den Nachnamen und den Straßennamen änderte er ein wenig ab. Dann gab er ihr den Bogen zurück.
Sie setzte eine Lesebrille auf und überflog das Formular. Dann schien sie einen Makel gefunden zu haben. Sie zog die Lesehilfe auf die Nasenspitze herunter, um wie eine Lehrerin streng über die Brille blickend bei ihm nachzubohren. »Ich sehe, Sie sind erst 35, und verheiratet sind Sie auch nicht. Wollen Sie sich tatsächlich zu uns in die Einsiedelei begeben? Haben Sie sich das auch wirklich gut überlegt?«
»Ach«, versuchte er ihre Bedenken zu zerstreuen, »Helgoland bietet doch jede Menge Abwechslung. Natur, Strände, Shops und Hafenbetrieb. Wo gibt es das schon auf einem einzigen Quadratkilometer?«
Sie antwortete zunächst nicht, sondern musterte ihn nachdenklich. Dann sagte sie nicht ohne Schmerz in der Stimme: »Ja, im Sommer ist das so, aber von Anfang November bis Ende März regiert hier quer stehender Regen, und die Sonne hält sich fast
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