Bädersterben: Kriminalroman
durchgehend versteckt. Plötzlich wird die Insel für alle fühlbar klitzeklein. Wehe dem, der dann nicht weiß, wo er hingehört. Meinen Sie, dass Sie das durchstehen?«
»Helgoländchen«, rutschte ihm heraus.
Sie taxierte ihn ernst. »Genau, Helgoländchen. Das haben Sie schon richtig erkannt. Man hat hier keine Möglichkeit, den anderen Mitbewohnern zu entfliehen.« Glücklich wirkte Ruth Rasmussen jetzt nicht gerade.
Olli musste das Heft des Handelns wieder in die Hand bekommen und stellte die Gegenfrage. »Sie wissen, wo Sie hingehören?«
Die Sekretärin von Dr. Rogge hob skeptisch die Schultern. »Ach, Dr. Held, fragen Sie mich nicht solche Dinge. Ich lebe hier. Mein Mann führt ein Börteboot, der macht einfach, was er will. Manchmal fährt der mitten im Winter zum Festland, ohne zu fragen, nur um endlich einmal wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ich würde da niemals mitfahren, das wäre mir viel zu gefährlich. Aber diese Erdung, die fehlt einem hier im Winter manchmal auf der Insel.«
Das konnte sich Olli gut vorstellen, aber er wollte ja nicht wirklich auf Helgoland überwintern. Ihm reichten die schönen Stunden mit Svenja. Aber auf die skeptische Nachfrage der Sekretärin hin musste er eine entkrampfende Antwort finden. »Ach, Frau Rasmussen. Woher soll ich wissen, ob ich mich hier ganzjährig wohlfühlen würde? Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Reizen würde mich Helgoland aber schon. Wenn es nicht klappt, geht die Welt für mich auch nicht unter. In Hamburg gibt es viele gute Jobs.«
Die Sekretärin von Dr. Rogge sprach ihm jetzt Mut zu. »Da machen Sie sich mal keine Sorgen, das wird schon klappen. Es wäre schön, wenn Sie hier sesshaft werden könnten. Ich werde ein gutes Wort für Sie einlegen.«
Sie schien ihn irgendwie zu mögen. Das war die Gelegenheit nachzubohren. »Bei Dr. Rogge?«
Ruth Rasmussen prustete lauthals los. »Wie kommen Sie denn darauf?«
Olli zeigte sich überrascht. »Das ist doch der Chef hier, ich habe das Namensschild nebenan gelesen.«
»Nein, nur weil ›Direktor‹ auf einem Schild steht, muss man doch nicht annehmen, dass der die Geschicke einer Anstalt mit Hunderten von Mitarbeitern und Studierenden verantwortungsvoll leiten könnte. Nein, die Arbeit erledigen hier ganz andere völlig unspektakulär.«
Wie von Zauberhand klopfte es an der Tür, die sich wenig später einen Spalt öffnete. Eine freundliche, aber bestimmte Frauenstimme gab eine Bestellung auf. »Ruth, können Sie bitte Kaffee und Kekse in meinem Büro aufdecken? Heute Nachmittag kommen noch zwei Herren aus Berlin vom Ministerium für Bildung und Forschung. Ich hoffe, sie bringen den endgültigen Förderbescheid mit, damit wir endlich mit der Renovierung unserer Mitarbeiterwohnungen am Hang beginnen können. Ich gehe nur noch kurz einmal nach Hause und mache mich frisch für den Besuch, falls Dr. Rogge nach mir fragen sollte.«
Ruth Rasmussen fiel es vermutlich selbst nicht auf, aber sie hatte unbewusst Haltung angenommen. Schnell sagte sie zu. »Nur für Sie drei, Frau Dr. Sommerfeld?«
Die Frauenstimme bestätigte das, aber die Sekretärin hatte noch eine inhaltliche Nachfrage. »Hatte Dr. Rogge nicht heute Morgen mit Herrn Duckstein bereits die letzten Formulare endgültig auf den Weg gebracht? Oder habe ich das falsch verstanden?«
Die Stimmte antwortete ein wenig ungeduldig, aber nicht unfreundlich. »Ja, das schon, aber mit diesem Duckstein ging es nur um ein kleineres Projekt für ausländische Stipendiaten. Der Duckstein macht das doch sowieso nur, um für größere Projekte im Gespräch zu bleiben. Das ist ein Halunke, wenn Sie mich fragen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen, Frau Rasmussen.« Die Tür wurde leise wieder zugezogen.
Fragend blickte Olli die Sekretärin an, die sofort aufgestanden war, um Kaffeegeschirr zusammenzustellen.
»Die hat hier die Hosen an, richtig?«
Ruth Rasmussen musste unwillkürlich lachen. »Dr. Held, Sie scheinen für ihr jugendliches Alter ja bereits eine gehörige Portion Menschenkenntnis zu besitzen. Aber in der Tat, Frau Dr. Sommerfeld hat das Institut in das 21. Jahrhundert gerettet und auch die sichere Einbettung in das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven maßgeblich betrieben. Ohne Frau Doktor wären unsere Arbeitsplätze alle in Gefahr.«
Frau Doktor! Diese Dr. Sommerfeld musste die Gegenspielerin von Dr. Rogge und Reinicke sein. Ruth Rasmussen war
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