Bädersterben: Kriminalroman
Seebrücke die Salzwiesen geschützt werden sollten. Sie schien lediglich dem Zweck zu dienen, den Touristenstrom zum Strand durch das Kassenhäuschen zu kanalisieren. Andererseits war das eine gute Vorbereitung auf die Pfahlbauten, auf denen der Schröpfungsgrad noch einmal kräftig anzog. Er verlangsamte seinen Schritt, um seinem Missmut den Vortritt zu lassen; schließlich war er hier, um sich zu erholen. Stuhr seufzte. Wenigstens das Atmen war noch umsonst.
Nachdem er eine kleine Biegung mit voll besetzten Bänken passiert hatte, auf denen erste Sonnenhungrige auf dem Weg zum Strand eingenickt waren, konnte er nun über das der Nordsee entgegenstrebende Menschengetümmel einen ersten näheren Blick auf die weiß gestrichenen hölzernen Pfahlbauten erhaschen, die ihn in ihrer Mächtigkeit wie jedes Jahr aufs Neue erstaunten. Zur rechten Strandseite war ihm der Anblick ebenso vertraut, denn wie immer nutzten hier schneidige und verwegen wirkende Strandsegler die Erholungssuchenden als Slalomstangen, zwischen denen sie hin und her kurvten.
Zur linken Seite hin verhinderte allerdings ein weiträumig um die Arche Noah gespanntes Absperrband, das von vielen Strandgängern umsäumt war, dass hier Strandleben stattfinden konnte. War dort etwa verunreinigtes Abwasser abgelaufen? Na, er würde ja bald sehen, was dort geschehen war. Er überlegte, ob die Blondine vom Kassenhäuschen noch hinter ihm ging. Umzudrehen wagte er sich nicht, aber warum sollte er nicht einmal kurz verschnaufen und sich rückwärts am Geländer lehnend einen entspannten Blick auf die Brücke gönnen? In diesem Moment wurde er unerwartet eingehakt. Mein Gott, die Blondine schien aber heftig an ihn ranzugehen. Wie sollte er sich verhalten?
Die tiefe männliche Stimme von Kommissar Hansen holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Da vorn ist Scheiße passiert, Stuhr. Ich muss dringend zur Polizeiwache und mit dem Leiter sprechen. Du kannst mich ein Stück begleiten, dann erzähle ich dir alles.«
Stuhr fluchte innerlich. Wieso musste er ausgerechnet Kommissar Hansen aus Kiel begegnen? Der hatte ihm gerade noch gefehlt. Konnte der sich nicht vorstellen, dass er nach den letzten drei Fällen, die er mehr oder weniger für ihn gelöst hatte, hier einfach nur ausspannen wollte?
Der Kommissar aber ließ nicht locker und zog Stuhr gegen den Menschenstrom auf der Seebrücke weiter zum Ort zurück. Dabei begann er zu erzählen, was sich unter der Arche abgespielt hatte.
Das spöttische Lächeln unterhalb der schwarzen Sonnenbrille, dem Stuhr jetzt entgegensah, kam ihm äußerst ungelegen, wenngleich die Blondine immerhin einen kurzen Gruß entbot. »Viel Spaß den beiden Herren noch!«
Stuhr nickte automatisch und ließ sie zum Strand hin passieren, bis er sich energisch aus der Einhakung des Kommissars löste.
»Mensch, Hansen, was soll das denn? Die denken doch alle, dass wir andersherum sind.«
Der Kommissar sah ihn verständnislos an. »Wie kommst du denn jetzt auf einmal darauf? Mensch, Stuhr, hier geht es um die Zukunft des Nordseetourismus!« Wie selbstverständlich hakte ihn Hansen wieder ein.
Freunde waren sie schon, aber doch keine warmen Brüder. Vorsichtshalber drehte sich Stuhr noch einmal um. Die Blondine tat dies ebenfalls und zog die Mundwinkel nun so hoch, dass es nicht mehr nur spöttisch wirkte. Sie schien sich königlich über ihn zu amüsieren. Wie peinlich, durchfuhr es Stuhr, aber der Wahrscheinlichkeitsrechnung nach würde er sie kaum jemals wiedersehen.
Der Kommissar berichtete ihm jetzt ausführlich von dem grausamen Tod an der Arche. Natürlich hatten sie noch keine tiefschürfenden Erkenntnisse gewonnen. Sie kannten noch nicht einmal den Namen des Opfers. Der Nachtwächter schien unschuldig zu sein, doch der Pächter gab sich auffällig wortkarg. Dann begann Hansen, ihn zu bedrängen.
»Wir kommen hier irgendwie nicht weiter. Stuhr, du musst mir helfen.«
Das kannte Stuhr nur zu gut. Das bekam er schließlich bei jedem Fall zu hören, bei dem der Kommissar mit seinen polizeilichen Möglichkeiten ins Stocken geriet. Doch der Urlaub war Stuhr heilig.
Hansen ließ jedoch nicht locker. »Ich kann dich ja verstehen. Das Strandleben mag durchaus seine Vorzüge haben, aber ein spannender neuer Fall hat durchaus auch seine Reize, die erlebiger sein würden als das spöttische Lächeln einer gereiften Blondine oder das Herumirren zwischen Familienurlaubern. Im Übrigen würdest du mir helfen.«
Helfen. Stuhr fluchte
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