Bädersterben: Kriminalroman
ganz schien Ten Hoff ihm aber nicht zu trauen. Deswegen entschloss sich Hansen, ihm seine Überlegungen offenzulegen. »Unter uns, Pieter, ich habe in einer völlig anderen Richtung ermittelt als du. Der erste Tote auf Sylt war anscheinend sehr wohlhabend. Vermutlich ein Unternehmer, vielleicht sogar ein Finanzmakler. Als zweiten traf es den Gutachter einer öffentlich geförderten Anstalt, und als dritten einen resoluten Protestler. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier mehrere Tätergruppen gegeneinander agieren. Das würde die Auflösung natürlich erheblich verkomplizieren, aber andererseits auch erklären, warum wir auf der Stelle treten.«
Nach kurzem Nachdenken pflichtete ihm sein Kollege bei. »Indeed. Das würde in der Tat einiges erklären. Die Tätergruppen setzen sich mit ihren Taten gegenseitig Warnzeichen, dabei ist der Rubikon schon längst überschritten, jedenfalls nach unseren Maßstäben.«
Jetzt wurde Hansen hellhörig. »Wenn die sich gegenseitig warnen, dann müssen noch größere Geschäfte im Raum stehen. Welche könnten das sein?«
Ungläubig sah ihn Ten Hoff an. »Unbelievable, Hansen. Liest du denn keine Zeitung?«
Nein, die Kieler Rundschau las er nicht. Ihm reichte die Kenntnisnahme der Schlagzeilen. Das Käseblatt studierte ausschließlich seine Frau und erzählte ihm dann manchmal abends, was sie interessant fand. Die Todesanzeigen, Werbung für Busreisen und das Wochenend-Journal. Das war nicht seine Welt, die aus spannenden Kriminalfällen bestand. Die Antwort für seinen niedersächsischen Kollegen war ausweichend. »Manchmal im Büro. Aber die Hektik, du weißt. Welche großen Geschäfte stehen denn an?«
An den Fingern der rechten Hand begann Ten Hoff jetzt die ihm bekannten Großprojekte aufzuzählen, die sich seiner Kenntnis nach in einer gutachterlichen Prüfung befanden. »Die Fehmarnbeltquerung nach Dänemark, die Weiterführung der Autobahn A20 westlich von Hamburg über die Elbe, der Bau des neuen Tiefwasser-Containerhafens in Wilhelmshaven, die mögliche Landaufschüttung zwischen Helgoland und Düne, die Verbreiterung des Nord-Ostsee-Kanals …«
Als er auf die linke Hand wechseln wollte, um seine Aufzählung fortzusetzen, hob Hansen beschwörend seine Hände. »Hör auf, Pieter! Wir sollten uns besser gegenseitig nicht verrückt machen. So viele mögliche neue Tatorte kann doch keine Polizei der Welt abschirmen.«
Ten Hoff gab ihm zum Abschied die Hand und kommentierte das auf seine eigene Art. »That’s alright, man. Fair play. Lass uns gut zusammenarbeiten, dann stehen wir das auch gemeinsam durch. Wenn wir doch noch nach Helgoland müssen, in Rastede befindet sich unsere Hubschrauberstaffel. Es dauert keine Stunde, und dann sind wir auf der Insel. Definetly.«
Jedes Wort verstand Hansen nicht, aber er ergriff herzhaft die Hand seines Kollegen. Sie würden gut zusammenarbeiten. Gemeinsam schlenderten sie zum Parkplatz.
»Soll ich dich noch irgendwohin mitnehmen?«, fragte Pieter hilfsbereit.
Hansen lehnte dankend ab. Er wollte noch einen Moment an diesem Ort verweilen.
Erst als der Wagen des niedersächsischen Kollegen nicht mehr zu sehen war, zog er sein Handy aus dem Jackett und rief Oberkommissar Stüber an, denn er benötigte jetzt dringend eine Mitarbeiterliste der Biologischen Anstalt. Stüber hatte aber keine Neuigkeiten, außer dass unverständlicherweise Büroleiter Zeise auf die Beförderungsschiene gesetzt worden war und der Chef von der Politik weiterhin mächtig unter Druck gesetzt wurde. Hansen bat seinen Oberkommissar, die Auftragslage bei der Wedeler Yachtvereinigung abzuklären.
Dann informierte er sicherheitshalber den Kollegen Klüver vom Bundeskriminalamt, der für übergreifende Wirtschaftskriminalität zuständig war und den er in einem vorherigen Fall schätzen gelernt hatte. Er gab ihm die Daten der Opfer durch und ließ ihm durch Stüber die Liste der Fahrgenehmigungen für den Sand zufaxen. Noch war der Bund nicht zuständig, aber vielleicht war in seiner Abteilung der eine oder andere Name bekannt.
Er machte sich ernsthafte Sorgen um Oliver Heldt auf Helgoland, denn ein Stich ins Wespennest bleibt selten ohne Folgen. Bis jetzt schien dort zwar alles eher harmlos zu sein, aber offensichtlich liefen in der Biologischen Anstalt viele Fäden zusammen.
24 Sturzflug
Stuhr wollte nach dem undurchschaubaren Verwirrspiel auf Helgoland endlich wieder einmal einen herrlichen Sommertag genießen. Er hatte sogar kurz überlegt,
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