Ballade der Leidenschaft
Rozenn, ehe sie sich zurückhalten konnte.
Verblüfft schnappte Mikaela nach Luft. „Was?“
Am liebsten hätte Rozenn sich die Zunge abgebissen. Sie hatte sich vorgenommen, der Freundin möglichst schonend von ihren Plänen zu erzählen, statt wie eine Närrin damit herauszuplatzen. Hastig wandte sie sich ab, betastete das goldene Kreuz an ihrer Halskette und starrte hinaus auf das Kopfsteinpflaster der Gasse, die zum Hafen und zur Burg hinabführte. Am dämmernden, von rosigen Streifen durchzogenen Abendhimmel flatterten die Mehlschwalben hin und her.
„Nichts.“ Seufzend wischte Rozenn mit dem Handrücken über ihre Stirn. Der junge Anton zog mühsam einen Handkarren voller Stoffballen den Hang herauf, zweifellos für Mark bestimmt, der seit dem Tod ihres Mannes Per als der bedeutsamste Schneider in der Stadt galt. „Wenn der Junge Marks Werkstatt erreichen will, bevor sie geschlossen wird, muss er sich beeilen.“
„Wage es bloß nicht, das Thema zu wechseln, Rozenn!“
„Wirklich, es ist nichts. Ich habe Unsinn geredet. Heute war es so heiß in Comtesse Muriels Sonnengemach, das muss meinen Geist verwirrt haben.“
Während Antons Karren vorbeipolterte, ergriff ihre Freundin sie bei der Hand. Entschlossen versuchte sie, ihren Blick auf sich zu lenken. „Weich mir nicht aus, Rose! Soeben hast du etwas sehr Wichtiges gesagt – du wüsstest bereits, wer deine wahre Liebe ist. Damit hast du wohl kaum Per gemeint.“ Sie schlug einen beiläufigen, neckischen Ton an, obwohl sie die Stirn runzelte. „Gewiss, du mochtest ihn. Aber bei eurer Hochzeit glänzten keine Sterne in deinen Augen. An Per dachtest du eben also nicht. An wen dann? Kenne ich ihn?“
„Lass es dabei bewenden. Ich habe gesprochen, ohne nachzudenken.“
„Sag es mir, beste Rose“, bat Mikaela schmeichlerisch. „Sag mir, wen du liebst.“
„Nein.“ Rozenn warf den Kopf in den Nacken und lachte über die Beharrlichkeit der Freundin. „Ehrlich, ich wollte es dir schon bald erzählen. Aber weil du mich so hartnäckig bedrängst, musst du es selber herausfinden. Wenn du seinen Namen errätst, teile ich mein Abendessen mit dir.“
„Das ist ungerecht, denn du wirst mich ohnehin in dein Geheimnis einweihen.“
„Nun, ich finde es lustiger, dich auf die Folter zu spannen. Und hast du nicht vorhin betont, ich sollte mich amüsieren?“
Mikaelas Augen verengten sich. „Jetzt bist du gemein.“
„Versuch es doch zu erraten! Als ich heute in der Bäckerei der Burg war, gab Stefan mir eine Hühnerpastete, die sogar einen Riesen sättigen würde. Für mich allein ist die Portion viel zu groß.“ Rozenn zog die Tür, an der die Girlande prangte, weiter auf. „Bitte, komm herein. Dein Vater wird wissen, wo du bist.“
Das Haus, das sie zusammen mit ihrem Gemahl bewohnt hatte, bestand wie die meisten Domizile der Geschäftsleute in Hauteville aus lehmbeworfenem Flechtwerk an einem Holzgerüst. An der Gasse lag die Schneiderwerkstatt mit den großen Fensterläden, die Per tagsüber stets geöffnet hatte, um seine Ware zu zeigen.
Nun waren die Läden geschlossen, düstere Schatten beherrschten die stickige Werkstatt. Eine zweite Tür führte nach hinten in den Wohnraum, wo sie mit Per gelebt, gegessen und geschlafen hatte. Darin brannten einige Kerzen. Mikaela und sie gingen darauf zu, ihre langen Röcke raschelten.
An der hinteren Wand stand der Fensterladen offen und gab den Blick auf die Rückfront des Nachbarhauses frei, die sich dunkel vor dem violetten Himmel abzeichnete.
Während sie die Werkstatt durchquerten, musterte Mikaela die halb leeren Regale. Wieder runzelte sie die Stirn. „Ist das dein ganzer Bestand? Wo sind all die Stoffe?“
„Die meisten habe ich verkauft.“
„An Mark?“
„Ja.“
„Kannst du mit diesem Geld Pers Schulden begleichen?“ Mikaela wusste, wie verzweifelt Rose gewesen war, nachdem sie von den Schulden ihres verstorbenen Ehemanns erfahren hatte. Mehrere Stadtbewohner warteten auf beträchtliche Summen.
„Darum bete ich.“
Mikaela zeigte auf die restlichen Vorräte. „Und was soll mit diesen Stoffballen geschehen?“
„Die will ich am Markttag verkaufen“, erklärte Rozenn lächelnd. „Mark hat mir einen einigermaßen vernünftigen Preis angeboten. Aber du weißt ja, wie gern er feilscht. Auf dem Markt müsste ich mehr Geld dafür bekommen.“
„Nimmst du immer noch Aufträge an? Oder nähst du nicht mehr?“
Rozenn wandte sich zögernd ab. Ihren Plan, das Herzogtum zu
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