Ballade der Leidenschaft
Quimperlé war“, meinte Mikaela nachdenklich. „Jemand anderes, den du liebst?“
„Ja. Benedict ist es wirklich nicht. Überleg mal …“
Mikaela nippte an ihrem Wein und musterte Rozenn über den Rand des Bechers hinweg. „Schmeckt gut. Hast du diesen Wein dem Priester abgekauft?“
„Den hat mir Comtesse Muriel geschenkt. Komm schon, rate weiter.“
Kopfschüttelnd stellte Mikaela ihren Becher ab. „Wenn es nicht Ben ist – vielleicht Mark?“
„Nein, mit dem habe ich nur geschäftlich zu tun.“
„Einer von Adams Kumpeln? Der dir vor einer Woche diese Nachricht geschickt hat?“
„Ja, ja. Allmählich kommst du deinem Ziel immer näher.“
„Also ist dein Liebster ein Ritter? Gewiss, du hättest nichts dagegen, einen Ritter zu heiraten …“
Schweigend stellte Rozenn die Schale mit der Pastete auf den Tisch und nahm Mikaela gegenüber Platz.
„Doch nicht der Ritter, der dir das goldene Kreuz geschenkt hat? Der Laute spielt, so wie Ben? Nicht Sir Richard of Asculf?“
Schwungvoll schnitt Rozenn eine große Scheibe von Stefans Pastete ab. „Derselbe! Gut gemacht, liebe Freundin. Soeben hast du die Hälfte der besten Hühnerpastete von ganz Quimperlé gewonnen.“
Am späteren Abend lag Rozenn in ihrem Bett an der Wand und fand keinen Schlaf. Gepeinigt von der stickigen Hitze schlug sie das Laken zurück und starrte durch das Dunkel zu den Deckenbalken hinauf. Im Nachbarhaus brüllte das Baby Manu. Einige Leute rannten die Gasse hinab, Stiefel polterten auf dem Kopfsteinpflaster. Dann hörte sie ein sanftes Gemurmel, das Baby verstummte. Sie zupfte an ihrer Halskette und zog das Kreuz aus ihrem Nachthemd. Ein goldenes Kreuz. Gold. Sir Richard hatte ihr goldenen Schmuck geschenkt, weil er sie sehr hoch schätzte.
Qualvoll, diese schwüle Luft, ungewöhnlich im Juni – als hätte der August schon begonnen. Wie dichter Nebel schien sie aus dem Hafen heraufzusteigen und in den schmalen Gassen von Hauteville zu verharren. In Basseville, am Fuß des Hangs, sang ein betrunkener Soldat, grölendes Gelächter untermalte die lallende Stimme. Wahrscheinlich kehrten einige Männer aus Comte Remonds Garnison, die in einer Hafentaverne gezecht hatten, zur Kaserne zurück.
Nachdem Mikaela fortgegangen war, hatte Rozenn das Feuer herabbrennen lassen, ohne es vollends zu löschen. Sanft züngelten die Flämmchen im Herd, die einzige Lichtquelle im Raum. Sie verbreiteten zu viel Hitze, die in dieser Nacht nicht gebraucht wurde. Aber Rozenn wollte sich am Morgen mit warmem Wasser waschen, und es würde zu lange dauern, ein neues Feuer zu entfachen.
Lächelnd dachte sie an ihre Freundin. Nachdem Mikaela von Sir Richard erfahren hatte, war sie fasziniert und leicht abzulenken gewesen. Bei angeregten Gesprächen verstrich der Abend sehr schnell. Noch immer hatte Rozenn nicht erwähnt, dass sie ihre „Mutter“ Ivona nach England bringen würde. Dort wollte sie Adam und Sir Richard aufsuchen.
Vor neunzehn Jahren war sie als Findelkind in Ivonas Obhut gegeben worden und mit ihr ebenso wenig blutsverwandt wie mit ihrem „Bruder“ Adam. Doch sie liebte die beiden wie eine richtige Familie und schätzte sich glücklich, weil sie ihr ein wunderbares Zuhause geboten hatten. Nicht alle Findelkinder wurden so gut behandelt.
Wie hatte die verwirrende Nachricht ihres Bruders gelautet?
Während sie sich an jedes einzelne Wort zu erinnern versuchte, tauchte vor ihrem geistigen Auge das Bild des Boten auf, den Adam zu ihr gesandt hatte. Beschmutzt und müde von der Reise, hatte der Mann sie in der Stadt angesprochen.
„Mistress Rozenn?“
„Ja?“
„Euer Bruder, Sir Adam Wymark, schickt Euch herzliche Grüße. Er bat mich, Euch mitzuteilen, er habe wichtige Neuigkeiten für Euch und Eure Mutter Ivona …“
„Welche Neuigkeiten? Ist er – unversehrt?“, fragte sie und freute sich, weil Adam sie anscheinend immer noch für seine Schwester hielt.
„Oh ja, es geht ihm sehr gut, Mistress. Er lässt Euch ausrichten, Ihr und Eure Mutter sollt Euch im Lauf dieses Jahres auf die Reise nach England vorbereiten.“
Verstört strich Rozenn über ihre Stirn. „Ivona und ich sollen die Bretagne verlassen? Aber – aber …“ Ihre Gefühle gerieten in Aufruhr, und es dauerte eine Weile, bis sie schließlich wieder klar denken konnte. Sie wusste, Adams Wunsch würde auch ihre Pflegemutter in tiefste Verwirrung stürzen. Sie selbst interessierte sich allerdings sehr dafür. „Mein Bruder muss noch mehr gesagt
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