Ballade der Leidenschaft
haben …?“
„In der Tat, Mistress, er hat einen Antrag um Eure Hand erhalten. Sein Freund Sir Richard of Asculf will Euch heiraten.“
Geistesabwesend griff sie nach dem Kreuz an ihrem Hals. „Mich?“
Der Bote nickte. „Und Sir Adam ersucht Euch, gründlich über das Angebot nachzudenken. Wie immer Ihr Euch entscheiden werdet, er möchte seine Mutter und Euch in seinem neuen Heim willkommen heißen. Derzeit hat er viel zu tun, und es wird eine Weile dauern, bis er Euch eine Eskorte für die Reise senden kann. Anfang Herbst müsste es so weit sein.“
„Schon im Herbst sollen wir zu meinem Bruder übersiedeln?“ Adam musste den Verstand verloren haben! Niemals würde Ivona sich bereit erklären, die Burg zu verlassen, die so viele Jahre lang ihr Zuhause gewesen war. Und Sir Richard, ein Ritter, möchte mich heiraten? Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich das vorgestellt.
„Ja, Mistress“, bestätigte der Bote in ruhigem Ton. Als wäre es ganz alltäglich, dass Adam seine Schwester und seine Mutter über das Meer nach England beorderte … Und dass Rozenn einen Heiratsantrag von einem normannischen Ritter bekam.
„Aber – aber ich habe Quimperlé noch nie verlassen …“
Der Mann warf ihr einen seltsamen Blick zu und seufzte. Nach seiner Haltung zu schließen, schmerzte sein Rücken. Sicher war seine Kehle staubtrocken, und er sehnte sich nach einer Taverne, wo er seine Füße hochlegen konnte. „Alles, was ich weiß, werde ich Euch mitteilen, Mistress. Trefft Eure Reisevorbereitungen, Euer Bruder wird Euch eine Eskorte schicken. Zudem betonte er, falls ihm etwas zustößt, sollt Ihr Sir Richard vertrauen, dem Euer Wohl am Herzen liegt.“
Was sie da hörte, vermochte sie kaum zu glauben. Ihr Wohl lag Sir Richard am Herzen? Unfassbar … Andererseits – hätte er einer Frau, die ihm nichts bedeutete, ein goldenes Kreuz geschenkt?
„Wie erfuhr Adam von meinem Witwenstand?“
„Das weiß ich nicht.“
Mit bewundernswerter Geduld hielt er dem Ansturm ihrer Fragen stand, dann verneigte er sich und ergriff die Flucht. Rozenn starrte ihm nach, und ihre Gedanken überschlugen sich. Offenbar hatte ihr Bruder im Dienste Williams, des Herzogs der Normandie und des neuen Königs von England, dessen Wohlgefallen erregt. Bei der Schlacht von Hastings hatte Adam fliehende Truppen zusammengetrommelt. Zum Dank hatte William ihm ein Landgut geschenkt und ihn mit Lady Cecily of Fulford vermählt.
Während Rozenn den Boten zur nächsten Taverne hinken sah, versank sie in einem Tagtraum. Mein Wohl liegt Sir Richard am Herzen … Atemlos berührte sie wieder das goldene Kreuz, das er ihr – anstößigerweise – geschenkt hatte, als sie noch mit Per verheiratet gewesen war. Und jetzt hatte er um ihre Hand angehalten!
So etwas hätte sie früher für unmöglich gehalten. Aber war es so unglaublich, dass ihr Bruder ein Bündnis zwischen seiner Familie und seinem guten Freund Sir Richard schließen wollte? Immerhin war Adam nur der Sohn eines Stallmeisters – und trotzdem zum Rang eines Ritters aufgestiegen. Und wenn er das erreicht hatte, warum sollte Rozenn keine Lady werden?
Von froher Hoffnung erfüllt, war sie nach Hauteville zurückgekehrt, in ihr kleines Haus.
Und jetzt, in der Hexennacht, betrachtete sie lächelnd ihr schwaches Herdfeuer, spielte mit dem goldenen Kreuz und schmückte ihren Traum aus. Nein, als Witwe eines Schneiders und Tuchhändlers in Quimperlé zu leben, wo alle Leute sie als Findelkind kannten – dieses Schicksal wollte sie nicht erleiden. Sie würde nicht von der Näharbeit abhängig sein, die sie für Comtesse Muriel erledigte, und stattdessen einen Ritter heiraten! Lady Rozenn of Asculf …
England lockte mit aller Macht. Am nächsten Tag musste sie Mikaela endlich von ihren Plänen erzählen. Und wenn ihre Mutter sich weigerte, die Burg zu verlassen, würde sie eben allein abreisen …
Zunächst würde sie Pers Schulden begleichen und dann den Ort aufsuchen, den Adams Bote erwähnt hatte – Fulford bei Winchester. Sie wollte nicht auf die Eskorte warten, die ihr Bruder nach Quimperlé schicken würde. Dafür war das Leben zu kurz. Warum sollte sie bis zum Herbst hier ausharren? So bald wie möglich musste sie aufbrechen – diesen Monat, vielleicht sogar noch in dieser Woche! Irgendwie würde sie Mittel und Wege finden.
König William hatte ihrem Bruder Ländereien in England geschenkt!
Wie glücklich musste Adam sein – endlich eigenes Land
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