Banditenliebe
Blick auf das Datum: 3. Juli 2004.
»Schuldig, vielleicht, aber trotzdem auf freiem Fuß. Sollte das der paradoxe Ausgang des Prozesses um den aufsehenerregenden Drogendiebstahl aus dem Rechtsmedizinischen Institut sein? Es besteht die Gefahr, dass die Beteiligten nicht belangt werden … Die Staatsanwaltschaft bietet einen Handel an, aber vom Gericht ist zu erfahren, dass die Vertreter der Beschuldigten auf ein verkürztes Verfahren aus sind. Nur eine Instanz, alles oder nichts …«
»Normalerweise sind die Kuriere kleine Fische, die leicht zu opfern sind«, meinte ich wenig überzeugt. »Ich hab noch nie gehört, dass eine Organisation einen derart komplizierten Plan aufbaut, um einem schlichten Transporteur den Arsch zu retten.«
»Vielleicht war er ja gar nicht so schlicht, oder aber es steckt was anderes dahinter.«
»Mag schon sein. Aber ich verstehe nicht, wie uns das Ganze helfen soll, den Typen mit dem Ring zu identifizieren und herauszufinden, was mit Sylvie ist.«
Wie immer, wenn ich in jenen Tagen ihren Namen aussprach, spürte ich einen Stich am Mageneingang. Die Ungewissheit über ihr Schicksal weckte die schlimmsten Albträume voller unsagbarer Gewalt. Eine schöne Frau, eine Rache … die Zutaten waren alle da, und ich konnte mich von den bösen Gedanken nicht lösen.
»Du bist unkonzentriert«, tadelte mich der Dicke.
»Entschuldige, ich muss einfach dran denken …«
Max hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. »Komm, Marco, lass uns so tun, als ob das irgendein Fall wäre, sonst drehen wir noch durch. Und das können wir uns nicht erlauben.«
Ich nickte und bat ihn weiterzureden.
»Wir müssen die Geschichte dieses Diebstahls rekonstruieren, obwohl der nichts damit zu tun zu haben scheint; aber wir brauchen möglichst viele Details, um die Rolle des Toten zu klären. Ich habe mich um den Ring gekümmert: ein Siegelring, an der flachen Stelle wird das Wappen eingraviert.«
»Ein Adliger?«
»Das bezweifle ich. Das Kreuz ist zu grob gewesen, und ich habe es in keinem Wappenverzeichnis im Internet gefunden«, antwortete er. »Jedenfalls gehört es zu keinem bekannten Haus.«
»Und?«
Mein Partner hob die Arme. »Mehr hab ich nicht herausfinden können.«
Ich blickte auf die Flasche mit dem »Vénérable«-Calvados von Roger Groult, dann zur Wanduhr. Zwanzig nach vier Uhr nachmittags. Ich seufzte. Bis zum ersten Glas würde ich noch einige Zeit warten müssen. Seit zwei Jahren hatte ich den Vorsatz, erst nach dem Abendessen zu trinken, die einzige Methode, um nicht zum Alkoholiker zu werden. Aber an manchen Tagen kam ich von den Uhrzeigern nicht weg.
Max fing meinen Blick auf und lächelte. »Verstehe«, meinte er komplizenhaft. »Darum erspare ich mir alle Diäten. Ich würde die ganze Zeit die Minuten zählen, aus Angst zu verhungern.«
Ich deutete auf die Grappa-Flasche. »Trink einen Schluck auf meine Gesundheit und hör auf, Mist zu reden.«
»Für einen Freund tu ich doch alles.«
»Heut Nacht …«, wollte ich erzählen.
»Als du die übliche bescheuerte Dauerverkaufssendung gesehen hast …«, verulkte er mich.
»Die finde ich entspannend, das weißt du doch …«
»Und zwischen einer Matratze und einem Satz Töpfe …«
»Da fiel mir ein, dass der Typ mit dem Ring es erst anders versucht hatte und an den Bullen geriet, der ihm ein ganz schönes Sümmchen abknöpfte, damit er ihn in Frieden ließ.«
»Richtig, ich erinnere mich.«
»Wenn das stimmt, dann bedeutet es, dass er bei seiner Ankunft in der Stadt wirklich keine Ahnung hatte, wer wir sind.«
Endlich begriff Max. »Das heißt, dieser Bulle hat ihm deinen Namen gesagt.«
»Genau.«
»Es sei denn, das ist nur eine Geschichte …«
»Trotzdem, es ist eine Spur, die wir verfolgen sollten.«
»Das finde ich auch. Lass uns auf Rossini warten.«
»Ist schon unterwegs. Er hat vor einer halben Stunde angerufen.«
Beniamino hatte vor Anspannung ein hohles Gesicht; seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er war wie aus dem Ei gepellt, wie immer, rasiert, parfümiert und hervorragend gekleidet, aber die Sorge fraß ihn von innen auf.
Wir waren Freunde, ich verlor keine Zeit und sagte sofort, was ich dachte. »Die Tage in Dalmatien haben dir nicht besonders gutgetan.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin am Rand«, sagte er. »Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ganz üble Gedanken.«
Ich begriff genau, was er meinte. Die Wahrheit herausfinden, sich rächen und Schluss machen. Ich antwortete nichts.
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