Bangkok Tattoo
einen Code eingibt.
»Also, was willst du wissen?« fragt sie freundlich.
Ich starre auf den Monitor, auf dem das Tiefblau der Windows-XP-Edition erscheint. »Vikorn. Warum war er nach Mitchs Tod so versessen darauf, dich zu schützen? So habe ich ihn noch nie erlebt. Er ist sogar nach Indonesien geflogen. Hast du mit ihm geschlafen?«
Sie sieht mich böse an. »Natürlich nicht. Er hatte bloß Angst, daß ich den Leuten von der CIA was verrate und Zinna ihn aus der Stadt jagt.«
»Woher hast du den?« frage ich, auf den IBM tippend.
»Der war in Mitchs Hotelsafe, als Ishy ihn umgebracht hat. Ich hab den Schlüssel wegen dem Opium an mich genommen und es zusammen mit dem ThinkPad rausgeholt.«
»Erzähl mir lieber, was wirklich passiert ist. Vielleicht muß ich für die CIA was zusammenbasteln.«
»Gut«, sagt sie. Ihre Finger beginnen, über die Tasten zu huschen. Jetzt haben wir die Windows-Sphäre verlassen, und die US-Regierung warnt jeden, der unberechtigt in diese supergeheime Datenbank eindringt, vor gnadenloser Verfolgung.
»Es geht so«, erklärt Chanya.
Wir befinden uns in Mitchs Wohnung in Songai Kolok, ganz am Anfang seines Aufenthalts dort, bevor Ishy Mitchs und Chanyas Leben kompliziert machte. Es ist drei Uhr nachmittags.
Nachdem Chanya Mitch bei seiner Reise in den Opiumhimmel beobachtet hatte, suchte sie nach einer Beschäftigung, richtete ihn in der besten Perspektive aus, drapierte ein Baumwolltuch über seinem Kopf und stellte sich vor, wie sein Gesicht aussähe, wenn es genauso schön wäre wie sein Körper. Dann holte sie eine winzige amerikanische Flagge aus einer seiner Schubladen, steckte sie ihm in die Hand und mühte sich ab, sie zu einer Faust zu formen. Aus Neugierde versuchte sie anschließend, seinen Penis dazu zu bringen, daß er sich aufrichtete, doch der schien sich im Tiefschlaf zu befinden.
Nach einer Weile wurde ihr so langweilig, daß sie in sein Arbeitszimmer schlenderte. An jenem Tag war er besonders versessen auf das Opium gewesen, hatte sofort eine Pfeife geraucht und vergessen, sich aus dem Internet auszuklicken und den Laptop auszuschalten, auf dessen Monitor nun ein besonders banaler Bildschirmschoner zu sehen war. Doch eine winzige Bewegung der Maus versetzte Chanya geradewegs in die Welt der Cybergeheimnisse.
Die sich als genauso langweilig wie der Bildschirmschoner erwies. Über die E-Mail-Adresse kam belangloses Geplapper herein: beinahe vergewaltigte amerikanische Frauen in Katmandu; minderjährige amerikanische Haschischschmuggler in Singapur; chinesische Repressalien gegen einen zu erfolgreichen amerikanischen Geschäftsmann, der (offenbar zurecht) als Spion angeklagt wurde. Und dann ein Hinweis an die Drogenbehörde über eine große Heroinlieferung, die aus dem Goldenen Dreieck über Udon Thani nach Bangkok geschickt werden sollte.
Interessiert verfolgte Chanya die Lieferung zusammen mit Teams von CIA, FBI, amerikanischer Drogenfahndung, Thai-Zoll und thailändischer Drogenbehörde vom nördlichen Laos nach Thailand. Wie eine Lawine band sie immer mehr Gesetzesbrecher an sich, je weiter sie rollte. Man wollte warten, bis sie Bangkok erreichte, um den Kopf des Unternehmens zu erwischen, aber irgendwo vor Krung Thep ging die von japanischen Wagen mit Vierradantrieb, wie ausländische Regierungen sie so sehr lieben, eskortierte Lieferung verloren. Großes Gejammer. Die Amerikaner verdächtigten die Thais, und die machten sich genüßlich Gedanken über die Höhe der gezahlten Bestechungsgelder.
Vermutlich steckt wieder General Zinna dahinter, meinte ein Agent.
Tatsächlich?
Ja.
Sicher ist es nicht?
Nein.
Es könnte also jemand anders gewesen sein.
Ja, aber es war kein anderer.
Woher weißt Du das?
Das weiß ich einfach.
So eine Ahnung?
Na ja, eher eine …
Eine was?
Eine falsche Ahnung.
Was soll denn das sein?
Eine falsche Ahnung eben. Die habe ich manchmal.
Ich hab noch nie was von einer falschen Ahnung gehört. Damit kann ich nichts anfangen.
Verständlich.
Egal. Jedenfalls hast Du jetzt eine?
Ja. Daß er es war.
Zinna?
Ja, Zinna.
Mir ist sterbenslangweilig. Und Dir?
Wenn nicht, würde ich mich nicht mit Dir unterhalten. Du bist meine letzte Verbindung zur Menschheit. Ich komme mir vor wie der Raumschiffkapitän in dem uralten David-Bowie-Song. Sie haben mich vor Jahrtausenden in den Cyberspace geschossen, und wenn es da nicht diese Verbindung zu Dir gäbe, wäre ich nur noch eine Ziffer, ein Schatten. Ich bin wie diese
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