Bangkok Tattoo
Holzbalken trocknet. »Wenn ich schon Menschen ihrer Haut wegen umbringen mußte, wollte ich wenigstens etwas für die Gemeinschaft tun. Der da war ein ziemlich hohes Tier bei der yakuza, von so ’ner komischen Gesellschaft, die die Bauern in Isaan von ihrem Grund und Boden vertreibt, damit sie selber Bäume für Eßstäbchen pflanzen kann. Er hat den Mord an meinem Journalistenfreund befohlen und war einer meiner ersten Kunden hier. Natürlich wollte er einen Scheißsamurai auf dem Rücken – mein Volk hat wirklich ein Problem mit der Mythologie. Die meisten Samurai waren Schwule und Trinker, aber in Japan darf man das nicht laut sagen. Zum Glück hat er in seiner Dummheit die Botschaft auf seiner eigenen Haut nicht verstanden. Nicht schlecht, was?«
Das Tattoo ist in der Tat ein Meisterwerk der subtilen Satire. Auf den ersten Blick wirkt der Samurai in voller Rüstung auf dem Rücken seines schwarzen Hengstes wie das Idealbild des Kriegers. Auf den zweiten jedoch entdeckt man Ishys versteckte Aussage: Dieser aufgeblasene Narziß ist betrunken und effeminiert, daran besteht kein Zweifel.
»Darf ich fragen, warum du ihnen den Schwanz abgeschnitten hast?«
Ishy kratzt sich stirnrunzelnd am Kopf und deutet dann mit dem Daumen in Richtung Chanya. »Ihr Karma. Bei Mitch Turner war’s Eifersucht, doch dann ist mir aufgegangen, daß letztlich jeder Mann sie haben kann, wenn er nur genug zahlt.« Chanya senkt den Blick. »Für sie hätte ich die ganze Stadt kastriert. Das ist echte Liebe.«
»Aber die Kastrierten waren doch schon tot.«
»Ich habe gesagt, es war Liebe, nicht Logik. Die Liebe drückt sich in Symbolen aus – das solltest gerade du wissen.«
»Warum mußtest du bereits von dir tätowierte Leute umbringen? Du hättest doch irgend jemanden ermorden und hinterher tätowieren können.«
Er schüttelt ernst den Kopf. »Das wäre mittelmäßig gewesen. Erstens muß die Tinte tief in die Haut eindringen, damit die Farben erstrahlen, und zweitens hast du keine Ahnung vom Markt. Ich verkaufe nicht nur Tätowierungen, sondern auch Morde. Die Leute möchten eine Gänsehaut bekommen bei dem Gedanken, die Haut eines Gekillten zu erwerben. Das ist das zivilisierte Äquivalent zum Sammeln von Schrumpfköpfen.« Er nimmt einen Schluck aus der Sake-Flasche in seiner Hand. »Natürlich verkaufe ich auch Ruhm. Wenn diese Geschichte bekannt wird, steigt der Preis für meine Werke um das Hundertfache.« Nachdenklich fügt er hinzu: »Was ist Mord schon anderes als Selbstmord durch einen Extrovertierten? Wir sind doch alle Angehörige der großen Menschenfamilie, und nur Mörder erleben die unerträgliche Leidenschaft wahrer Liebe.«
Der Mann mit dem offenen Hemd nickt zustimmend.
An der Wand des nächsten Zimmers befinden sich lediglich zwei Werke, beide mit Seide verhüllt. Ishy zieht den Stoff vom ersten weg. »Trauriger Fall, dieser junge CIA-Agent. Das da hat er sich gewünscht, aber dann ist er bei einer Thai-Nutte gelandet.« Wenn man Stephen Bright kannte, wird man beim Anblick der Tätowierung todtraurig: eine junge blonde Madonna mit einem Kind im Arm. Die Schlichtheit der Linienführung wirkt zutiefst ergreifend.
»Genial«, sage ich mit einem Schlucken.
»Aber nicht so gut wie das da«, erwidert Ishy, während er das zweite, größere Werk enthüllt. Chanya schnappt nach Luft, als sie das vertraute Bild in unbekannter Umgebung sieht. Dem Mann mit dem offenen Hemd und mir stockt ebenfalls der Atem; sogar seine Schläger sind beeindruckt. »Mitch Turner«, sagt Ishy. »Es war seine Idee. Vielleicht stammte sie aus einem Buch oder einem seiner Opiumträume oder irgendeinem anderen Wahn. Aber natürlich habe ich auf meiner eigenen Interpretation bestanden.«
Eine leuchtend grüne, dichte Weinranke wuchert so realistisch das Tattoo hoch, daß sie die Wand, an der es hängt, hinaufzuwachsen scheint. Die Rosenblüten treten in den Hintergrund, fast wie purpurrotes Beiwerk zu den Blättern, auf denen immer wieder in blutigen Lettern steht: Es gibt keinen anderen Gott als Ihn; Mohammed ist Sein Prophet.
Chanya bricht in hysterisches Schluchzen aus, als wir höfliches Klopfen an der Tür vernehmen.
46
Wir halten uns jetzt alle wieder in dem großen Raum im Erdgeschoß auf. Mittlerweile sind Stunden vergangen. Der Mann mit dem offenen Hemd kann fließend Japanisch, die Sprache, in der die Verhandlungen mit den Neuankömmlingen (allen fehlt mindestens ein kleiner Finger) geführt werden. Sie sind an der einen
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