Bangkok Tattoo
japanischen Teenager, die ausschließlich per Computer kommunizieren können. Was Du brauchst, ist ein Fick.
Oder Dope.
Ja.
Komisch.
Chanya erkannte sofort das Mittel gegen ihre Langeweile. Es war etwas Vertrautes, Gemütliches an dieser anonymen Art der Unterhaltung; ein bißchen erinnerte sie das an die Leute in Amerika, die gut zu ihr gewesen waren. Da begann Mitch, aus seiner Trance aufzutauchen. Er hob kurz den Blick, als sie das Schlafzimmer betrat. »Marge, ich hab’s genau gesehen.«
In ihrer allerbesten Marge-Simpson-Stimme fragte Chanya: »Was hast du gesehen, Homer?«
»Den Ursprung der Welt, Marge.«
»Wirklich?«
»Ja. Aber auch das Ende.«
»Hat die Agency wieder Botschaften geschickt?«
»Ja. So hab ich den Anfang und das Ende der Welt gesehen, Marge. Die Agency weiß alles.«
»Homer, Schatz, sag mir doch bitte noch mal den Zugangscode für verschlüsselte Botschaften der Agency im Internet.«
»AQ82860136574X-Hallifax nineteen [lowercase] Oklahoma twenty-2 BLUE WHALE [all uppercase] Amerika stop 783.«
48
Auf der Heimreise dachte Chanya über die verschwundene Heroinlieferung und Zinna nach und legte sich einen Plan zurecht. Dann erwarb sie einen großen Taschenrechner mit über zwanzigstelliger Anzeige, doch nicht einmal der war in der Lage zu berechnen, wie dramatisch sich ihr Karma verbessern würde.
Es gibt nicht genug Nullen auf der Welt. Diesmal reist Chanya zu den Sternen.
Sie war stolz auf die Genialität ihres Einfalls und fühlte sich schon gereinigt. Während der Heimreise überkam sie wiederholt ein angenehmes Schaudern, das im allgemeinen mit dem ersten echten samadhi- Erlebnisin Verbindung gebracht wird: Der Geist kann die Erleichterung nicht fassen; es fällt ihm schwer zu begreifen, daß das Leben allen bisherigen Erfahrungen zum Trotz etwas Ekstatisches hat.
Sie hielt die Hand vor den Mund, um ihr Lachen zu kaschieren, grinste dümmlich vor sich hin oder brach in Schluchzen aus. Das war die Rettung, genau das, was der Buddha lehrte: Man handelte selbstlos, setzte sogar sein Leben aufs Spiel in der Gewißheit, dem vom Karma vorgegebenen Pfad zu folgen, und ergriff die Gelegenheit, andere Lebewesen von den Fesseln des Daseins zu befreien. In ihrer Euphorie schwor sie, bis ans Ende aller Zeiten Leben für Leben auf den Pfad des Helfens und Heilens zurückzukehren. Wie die heilige Johanna von Orleans wurde sie sich urplötzlich ihrer Verbindung nach oben bewußt. Jetzt mußte sie nur noch den richtigen jao por finden, dem sie ihren Plan verkaufen konnte.
Doch wie so oft bei großen Plänen zur drastischen Verbesserung des Karmas stellten sich schon bald Zweifel ein. Hatte sie etwa zuviel Zeit mit dem verrückten Mitch verbracht? Wie kam eine kleine Nutte auf die Idee, so etwas durchziehen zu können?
Ihre Erschütterung über seinen Tod veränderte jedoch ihre Einstellung radikal. Sie und Mitch hatten nackt im Bett gelegen, als Ishy, das Gesicht vor Eifersucht verzerrt, mit einem riesigen Armeemesser hereinstürmte, sich auf Mitch stürzte, ihm das Messer in die Eingeweide rammte und ihm den Penis abschnitt, den er ihr unter die Nase hielt und schließlich auf das Nachtkästchen warf. In diesem Moment wurde der Künstler Ishy völlig verdrängt von Ishy dem selbstgerechten Monster. Sein gequälter Geist hatte den letzten Widerstand gegen seinen Dämon aufgegeben und sich ihm völlig unterworfen. Chanya empfand nur Ekel; sie fürchtete den Tod nicht. Ishy hatte da eindeutig etwas mißverstanden. Sie würde sein Handeln niemals als Ausdruck seiner Liebe begreifen. In seiner Wut packte er das Telefon und hielt es ihr hin. Mach schon, ruf die Polizei, sagte seine Miene.
Chanya wandte den Kopf ab. Sie hätte sich klaglos von Ishy umbringen lassen, aber den Gedanken, den Rest ihres Lebens in einem thailändischen Gefängnis zu verbringen, ertrug sie nicht. (Als Nutte und Ishys Exgeliebte würden die Cops natürlich auch sie zur Verantwortung ziehen.)
Voller Verachtung drehte Ishy den Amerikaner um und entfernte mit dem Messer gekonnt dessen Tätowierung. Mitch stöhnte noch einmal kurz auf; Chanya sah das letzte Licht aus seinen Augen schwinden.
Ishys Gesicht war verzerrt wie das eines japanischen Dämons, als er das Tattoo vorsichtig mit beiden Händen aufrollte und in eine Plastiktüte steckte. Anschließend hob er Chanyas linke Brust ein wenig an, zeichnete die Kontur des Delphins mit der Messerspitze nach, schleuderte die Waffe unvermittelt aufs Bett und
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