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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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als Nachtpianist in einem Animierlokal betätigte. Der gespreizte, wichtigtuerische Klappentext verkündete, es handle sich um das erste Werk eines blendenden Geistes, eines proteischen, bahnbrechenden Talents, einer Zukunftsverheißung für die europäische Literatur ohnegleichen in der Welt der Lebenden. Doch die folgende Inhaltszusammenfassung ließ durchblicken, daß die Geschichte ziemlich reißerische Elemente enthielt, was in Monsieur Roqueforts Augen immer ein Pluspunkt war, denn am meisten gefielen ihm gleich nach den Klassikern leicht anrüchige Sensationsromane.
    Das rote Haus schilderte das gepeinigte Leben eines geheimnisvollen Mannes, der Spielwarenläden und Museen überfiel, um Puppen und Marionetten zu stehlen; denen riß er danach die Augen aus und brachte sie in seine Bleibe, ein gespenstisches verlassenes Gewächshaus am Seineufer. Als er eines Nachts in eine Luxusvilla in der Avenue Foix einbrach, um die private Puppensammlung eines während der industriellen Revolution mit dunklen Machenschaften zu Geld gekommenen Magnaten zu plündern, verliebte sich seine Tochter, eine sehr belesene, feine junge Dame der guten Pariser Gesellschaft, in den Eindringling. Je weiter der verworrene Plot gedieh, in dem sich heikle Zwischenfälle und zwielichtige Episoden häuften, desto tiefer drang die Heldin in das Rätsel ein, das den undurchsichtigen Protagonisten, der seinen Namen nie preisgab, dazu brachte, die Puppen zu blenden. Sie entdeckte ein schreckliches Geheimnis über ihren eigenen Vater und seine Porzellanfigurensammlung und mußte am Ende in einer schaurigen Szene untergehen.
    Monsieur Roquefort, ein Langstreckenläufer in literarischen Gefechten und stolz darauf, eine große Briefsammlung mit den Unterschriften sämtlicher Pariser Verleger zu besitzen, die seine ihnen unentwegt zugeschickten Gedicht- und Prosabände ablehnten, identifizierte den Verlag, der den Roman veröffentlicht hatte, als unbedeutendes Haus, bekannt allenfalls für seine Koch- und Häkelbücher. Der Bouquinist erzählte ihm, der Roman sei wenig verkauft worden und habe einzig in zwei Provinzblättern eine neben den Nekrologen plazierte Rezension erhalten. Auf wenigen Zeilen hätten die Kritiker mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg gehalten und dem Anfänger Carax empfohlen, seinen Pianistenjob nicht aufzugeben, denn in der Literatur, soviel sei klar, werde er nicht den Ton angeben. Monsieur Roquefort, dem bei hoffnungslosen Fällen Herz und Börse weich wurden, beschloß, einen halben Franc zu investieren, und nahm den Roman dieses Carax zusammen mit einer exquisiten Ausgabe von Salammbô des großen Meisters Gustave Flaubert mit, als dessen noch zu entdeckender Erbe er sich fühlte.
    Der Zug nach Lyon war überfüllt, so daß Monsieur Roquefort nichts anderes übrigblieb, als sein ZweiterKlasse-Abteil mit zwei Nonnen zu teilen, die ihm, kaum hatten sie die Gare d’Austerlitz hinter sich gelassen, unaufhörlich mißbilligende Blicke zuwarfen und dabei leise miteinander flüsterten. Angesichts dieser Observation beschloß Monsieur Roquefort, den Roman aus der Aktentasche zu ziehen und sich hinter seinen Seiten zu verschanzen. Zu seiner großen Überraschung entdeckte er Hunderte Kilometer später, daß er die Schwestern, das Rütteln des Zuges und die wie ein schlechter Traum der Gebrüder Lumière an den Fenstern vorüberziehende Landschaft vergessen hatte. Er las die ganze Nacht, ohne auf das Schnarchen der Nonnen und die vorbeihuschenden Bahnhöfe in der Dunkelheit zu achten. Als er im Morgengrauen die letzte Seite umblätterte, stellte er fest, daß er Tränen in den Augen und das Herz von Neid und Schrecken vergiftet hatte.
    Noch am selben Montag rief er den Verlag in Paris an, um Informationen über Julián Carax zu erbitten. Nach langem Drängen sagte ihm eine Telefonistin mit asthmatischer Stimme und einem Hang zur Bosheit, Señor Carax verfüge über keine bekannte Adresse, er stehe jedenfalls nicht mehr mit dem fraglichen Verlag in Verbindung und vom Roman Das rote Haus seien seit dem Tag seiner Veröffentlichung genau siebenundsiebzig Exemplare verkauft worden, mehrheitlich wohl an die leichten Mädchen und an andere Stammgäste des Lokals, wo der Autor für ein paar Münzen Nocturnes und Polonaisen herunterklimpere. Die restlichen Exemplare seien zurückgekommen und eingestampft worden, um Meßbücher, Strafzettel und Lotterielose zu drucken. Das elende Schicksal des geheimnisvollen Autors hatte Monsieur Roqueforts

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