Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
aufgegeben. Ich legte den ersten Gang ein und beschleunigte. Grandes blieb zurück, und ich steuerte die Aussichtsplattform von Miramar an. Nach wenigen Sekunden bemerkte ich, dass der Aufprall die hintere Stoßstange an einen der Reifen gequetscht hatte, den sie nun abhobelte. Der Gestank nach verbranntem Gummi drang mir in die Nase. Zwanzig Meter weiter platzte der Reifen, der Wagen begann zu schlingern und blieb in einer schwarzen Rauchwolke stehen. Ich stieg aus und schaute zu Grandes’ Wagen zurück. Eben schälte sich der Inspektor heraus und richtete sich langsam auf. Ich sah mich um. Die Endstation der Drahtseilbahn, die den Hafen vom Montjuic zum San-Sebastián-Turm überquerte, lag rund fünfzig Meter vor mir. Ich erkannte die Umrisse der an ihren Kabeln hängenden Kabinen, die lautlos durch die scharlachrote Dämmerung glitten, und rannte los.
Einer der Seilbahnangestellten wollte eben den Eingang schließen, als er mich heranspurten sah. Er hielt mir die Tür auf und deutete hinein.
»Letzte Fahrt des Tages«, verkündete er. »Sie sollten sich beeilen.«
Am Schalter war die Jalousie bereits halb heruntergelassen, als ich die letzte Fahrkarte des Tages erwarb und mich eilig einer vierköpfigen Gruppe zugesellte, die vor der Kabine wartete. Ich wurde erst auf ihre Gewandung aufmerksam, als der Seilbahnangestellte das Türchen öffnete und sie hineinkomplimentierte. Priester.
»Die Seilbahn wurde anlässlich der Weltausstellung erbaut und mit der allerneusten Technologie ausgestattet. Ihre Sicherheit ist jederzeit gewährleistet. Sowie die Fahrt beginnt, wird diese nur von außen zu öffnende Tür verriegelt bleiben, um Unfälle oder, da sei Gott vor, Selbstmordversuche zu vereiteln. Natürlich besteht bei Ihnen, Eure Exzellenzen, keine Gefahr, dass …«
»Junger Mann«, unterbrach ich ihn, »könnten Sie das Zeremoniell, da es Nacht wird, etwas beschleunigen?«
Der Seilbahnangestellte bedachte mich mit einem feindseligen Blick. Einer der Priester bemerkte die Blutflecken an meinen Händen und bekreuzigte sich. Der Angestellte nahm seinen gespreizten Sermon wieder auf.
»Sie werden in rund sechzig Meter Höhe über den Hafengewässern durch den Himmel von Barcelona gleiten und sich der spektakulärsten Aussicht der ganzen Stadt erfreuen, wie sie bislang nur Schwalben, Möwen und anderen vom Allerhöchsten mit Federwerk beschenkten Geschöpfen verstattet war. Die Fahrt weist eine Dauer von zehn Minuten auf – mit zweimaligem Halt, dem ersten am mittleren Turm des Hafens oder, wie ich ihn gerne nenne, am Eiffelturm Barcelonas, auch San-Jaime-Turm geheißen, und dem zweiten und letzten am San-Sebastián-Turm. Jetzt wünsche ich Euren Exzellenzen ohne weiteren Verzug eine glückliche Überfahrt und wiederhole den Wunsch der Gesellschaft, Sie bald wieder an Bord der Hafenseilbahn von Barcelona begrüßen zu dürfen.«
Ich stieg als Erster in die Gondel ein. Als die vier Priester an ihm vorbeizogen, streckte der Seilbahnangestellte die Hand aus in der Erwartung eines Trinkgeldes, das er nicht bekam. Sichtlich enttäuscht, knallte er das Türchen zu, drehte sich um und wollte den Starthebel betätigen. Draußen wartete Inspektor Victor Grandes auf ihn, übel zugerichtet, aber lächelnd, die Erkennungsmarke in der Hand. Der Seilbahnangestellte öffnete ihm das Türchen, und mit einem Kopfnicken für die Priester und einem Augenzwinkern für mich trat er in die Kabine. Sekunden später fuhren wir los.
Die Gondel entschwebte dem Berggrat folgend dem Gebäude. Die Priester hatten sich alle auf einer Seite zusammengeschart, um erstens die Aussicht auf das eindunkelnde Barcelona zu genießen und zweitens nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, welch undurchsichtige Angelegenheit Grandes und mich hier zusammengeführt hatte. Der Inspektor trat langsam auf mich zu und zeigte mir die Waffe in seiner Hand. Große rote Wolken schwebten über dem Hafenwasser. Die Kabine tauchte in eine von ihnen ein, sodass wir uns für einen Augenblick in einem See aus Feuer zu befinden schienen.
»Sind Sie schon mal hier oben gewesen?«, fragte Grandes.
Ich nickte.
»Meiner Tochter gefällt das sehr. Einmal im Monat will sie hin- und zurückfahren. Ein wenig teuer, aber die Sache ist es wert.«
»Mit dem, was Ihnen der alte Vidal dafür zahlt, mich auszuliefern, können Sie mit Ihrer Tochter sicher jeden Tag herkommen, wenn Sie Lust haben. Nur aus Neugier: Was hat er denn für einen Preis auf mich ausgesetzt?«
Grandes
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