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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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seine Zahnlücken sah.
    »Siehst du dieses Paket? Du sollst es einer Dame geben, die gleich da herauskommen wird. Du sagst ihr, ein Herr habe es dir für sie gegeben, aber sag nicht, dass ich es gewesen bin. Hast du begriffen?«
    Er nickte. Ich gab ihm Buch und Münze.
    »Und jetzt warten wir.«
    Lange dauerte es nicht – nach drei Minuten sah ich sie herauskommen und auf die Ramblas zugehen.
    »Diese Dame ist es. Siehst du sie?«
    Vor den Strebepfeilern der Bethlehem-Kirche blieb meine Mutter einen Augenblick stehen, und ich gab dem Jungen ein Zeichen, woraufhin er zu ihr lief. Ich verfolgte die Szene aus der Entfernung und konnte nicht hören, was er sagte. Er reichte ihr das Paket, und sie schaute es befremdet an und zögerte, ob sie es nehmen sollte oder nicht. Er beharrte darauf, und schließlich nahm sie es und sah dem weglaufenden Jungen nach. Fragend und verwirrt schaute sie sich nach allen Seiten um. Sie wog das Paket ab und untersuchte das purpurne Einschlagpapier. Schließlich obsiegte die Neugier, und sie riss es auf.
    Ich sah sie das Buch herausnehmen. Sie hielt es in beiden Händen, las den Titel und studierte den Umschlag. Mir stockte der Atem. Ich wollte zu ihr treten, etwas zu ihr sagen, aber ich konnte nicht. So blieb ich stehen, zehn Meter von meiner Mutter entfernt, beobachtete sie, ohne dass sie meine Anwesenheit bemerkte, bis sie mit dem Buch in der Hand Richtung Kolumbus-Denkmal weiterging. Als sie am Palacio de la Virreina vorbeikam, warf sie es in einen Papierkorb. Ich sah sie die Ramblas hinuntergehen, bis sie sich in der Menge verlor und es war, als wäre sie nie da gewesen.
     

 19
    Sempere senior befand sich allein in der Buchhandlung und verleimte den Rücken einer auseinanderfallenden Ausgabe von Galdós’ Fortunata und Jacinta. Als er aufschaute, erblickte er mich vor der Tür. Zwei Sekunden genügten ihm, um meinen Zustand zu erkennen. Er winkte mich herein und bot mir einen Stuhl an.
    »Sie sehen schlecht aus. Sie sollten zum Doktor gehen. Wenn Ihnen die Nerven flattern, gehe ich mit. Auch mir graut vor den Ärzten, alle tragen diese weißen Kittel und fuchteln mit spitzen Gegenständen herum, aber manchmal muss man eben in den sauren Apfel beißen.«
    »Es sind bloß Kopfschmerzen, Señor Sempere. Es geht gleich vorüber.«
    Sempere brachte mir ein Glas Selters.
    »Da. Das kuriert alles, außer der Dummheit, die ist eine wahre Pandemie.«
    Widerwillig lächelte ich über seinen Scherz und trank mit einem Seufzer das Glas aus. Ich spürte Übelkeit auf den Lippen und hinter dem linken Auge einen heftig pulsierenden Druck. Einen Moment befürchtete ich, die Besinnung zu verlieren, und schloss die Augen. Ich atmete tief ein und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Des Schicksals Sinn für Humor konnte doch nicht so pervers sein, dass es mich zu Semperes Buchhandlung führte, um ihm zum Dank für alles, was er für mich getan hatte, eine Leiche zu bescheren. Ich spürte, wie mir eine Hand sanft die Stirn hielt. Sempere. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass mich der Buchhändler und sein Sohn, der den Kopf hereinstreckte, mit Trauermienen anschauten.
    »Soll ich den Arzt rufen?«, fragte Sempere junior.
    »Ich fühle mich schon besser, danke. Viel besser.«
    »Bei Ihrer Art, sich besser zu fühlen, sträuben sich einem ja die Haare. Sie sind ganz grau im Gesicht.«
    »Noch etwas Wasser?«
    Der junge Sempere schenkte mir eilig nach.
    »Entschuldigen Sie bitte dieses Schauspiel«, sagte ich. »Ich versichere Ihnen, ich habe es nicht einstudiert.«
    »Reden Sie keinen Unsinn.«
    »Vielleicht würde Ihnen etwas Süßes guttun. Es kann ja eine Unterzuckerung gewesen sein …«, bemerkte der Sohn.
    »Geh zum Bäcker an der Ecke und bring was Süßes mit«, stimmte der Buchhändler zu.
    Als wir allein waren, heftete Sempere seinen Blick auf mich.
    »Ich schwöre Ihnen, dass ich zum Arzt gehe«, sagte ich.
    Zwei Minuten später kam der Sohn mit einer Tüte voller Köstlichkeiten aus der Konditorei in der Nähe zurück. Er bot sie mir an, und ich wählte eine Brioche, die mir unter anderen Umständen etwa so verlockend erschienen wäre wie der Hintern einer Chorsängerin.
    »Beißen Sie schon hinein«, befahl Sempere.
    Gehorsam verzehrte ich die Brioche, und allmählich fühlte ich mich wirklich besser.
    »Sieht aus, als kehrte er ins Leben zurück«, stellte der Sohn fest.
    »Was die Milchbrötchen von der Ecke nicht alles kurieren …«
    In diesem Moment läutete die Glocke an der

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