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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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anderem.«
    Mit einem zufriedenen Grinsen wandte er sich um.
    »Ignatius B. Samson?«
    »Gott hab ihn selig, stets zu Diensten.«
    Nun blieb der geheimnisvolle Wächter stehen und platzierte die Lampe auf einer Art Balustrade, die vor einem riesigen Raum errichtet worden war. Ich schaute auf und war sprachlos. Regale mit Hunderttausenden Büchern, verbunden durch Brücken und Passagen, erhoben sich zu einer gigantischen Bibliothek und bildeten ein unübersehbares Labyrinth. In seinem Gewirr aus Gängen war der enorme Bau nicht zu erfassen. Er schien spiralförmig zu einer großen Glaskuppel aufzusteigen, durch welche Vorhänge aus Licht und Dunkel fielen. Ich erkannte einige vereinzelte Gestalten, die sich über Stege und Treppen bewegten oder eingehend die Regalreihen dieser Bücher- und Wortkathedrale besahen. Ich traute meinen Augen nicht und schaute Isaac Monfort verblüfft an. Er grinste wie ein alter Fuchs, der seinen Lieblingstrick genießt.
    »Willkommen im Friedhof der Vergessenen Bücher, Ignatius B. Samson.«
     

 20
    Ich folgte dem Aufseher hinab auf den Boden der großen Halle, die das Labyrinth beherbergte. Der Belag unter unseren Füßen war ein Flickwerk aus Fliesen und groben Platten, voller Grabinschriften, Kreuze und ausgewaschener Steingesichter. Isaac blieb stehen und ließ zu meinem Ergötzen das Licht der Öllampe über einige Teile dieses makabren Puzzles gleiten.
    »Reste eines alten Gräberfeldes«, erklärte er. »Aber kommen Sie mir nicht auf die Idee, hier tot umzufallen.«
    Wir gingen weiter bis zu einem offenbar als Eingang dienenden Bereich. Isaac leierte die Regeln und Pflichten herunter und warf mir ab und an einen Blick zu, den ich mit mildem Nicken aufzufangen suchte.
    »Artikel eins: Das erste Mal, wenn jemand herkommt, hat er das Recht, sich aus allen Büchern, die es hier gibt, nach Belieben eines auszusuchen. Artikel zwei: Wenn man ein Buch adoptiert, geht man die Verpflichtung ein, es zu beschützen und alles zu tun, damit es nie verloren geht. Ein Leben lang. Irgendwelche Unklarheiten bis dahin?«
    Ich schaute in die labyrinthischen Weiten der Bibliothek hinauf.
    »Wie kann man unter so vielen Büchern ein einziges aussuchen?«
    »Manch einer glaubt, das Buch suche ihn aus … Das Schicksal sozusagen. Was Sie hier sehen, ist die Summe von Jahrhunderten verlorener und vergessener Bücher, Bücher, die dazu verdammt waren, für immer vernichtet und zum Schweigen gebracht zu werden, Bücher, die die Erinnerung und die Seele von Zeiten und Wundern bewahren, an die niemand mehr denkt. Keiner von uns, nicht einmal einer der Ältesten, weiß mit Bestimmtheit, wann das alles hier geschaffen wurde und von wem. Wahrscheinlich ist es so alt wie die Stadt selbst und ist mit ihr gewachsen, in ihrem Schatten. Wir wissen, dass das Gebäude auf den Überresten von Palästen, Kirchen, Gefängnissen und Krankenhäusern errichtet wurde, die einmal an diesem Ort gestanden haben mögen. Die Grundmauern des Hauptbaus stammen ursprünglich aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert. Vorher war der Friedhof der Vergessenen Bücher unter der mittelalterlichen Stadt verborgen. Es heißt, in den Zeiten der Inquisition hätten Gebildete und Freidenker verbotene Bücher in Sarkophagen versteckt und zu ihrem Schutz auf den Gottesackern vergraben, die es überall in der Stadt gab, im Vertrauen darauf, dass kommende Generationen sie wieder ausgraben würden. Mitte des letzten Jahrhunderts fand man einen langen Tunnel, der vom Inneren des Friedhofs der Vergessenen Bücher zu den Kellergeschossen einer alten Bibliothek führt, die heute versiegelt und in den Ruinen einer ehemaligen Synagoge des Call-Viertels verborgen ist. Beim Einsturz der letzten Stadtmauern entstand ein Erdrutsch, und der Tunnel wurde von dem unterirdischen Strom überschwemmt, der seit Jahrhunderten unter den jetzigen Ramblas entlangfließt. Heute ist der Tunnel ungangbar, aber wir nehmen an, dass er lange einer der Hauptzugänge zu diesem Ort war. Der größte Teil des Baus, den Sie vor sich sehen, wurde im neunzehnten Jahrhundert errichtet. Nicht mehr als hundert Menschen in der ganzen Stadt kennen diesen Ort, und ich hoffe, Sempere hat keinen Fehler gemacht, als er Sie unter sie aufgenommen hat …«
    Obwohl ich energisch den Kopf schüttelte, schaute mich Isaac skeptisch an.
    »Artikel drei: Sie dürfen Ihr Buch begraben, wo Sie wollen.«
    »Und wenn ich mich verirre?«
    »Eine Zusatzklausel, auf meinem Mist gewachsen: Sorgen Sie

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