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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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das Lächeln auf den Lippen erstarb.
    »Ich wollte es dir seit Jahren sagen, aber ich dachte, es würde dir nichts bringen. Du wirst glauben, ich hätte es dir aus Feigheit verschwiegen, aber ich schwöre dir, ich schwöre es dir bei allem, was mir heilig ist, dass …«
    »Was?«, unterbrach ich ihn.
    Er seufzte.
    »In der Nacht, als dein Vater starb …« »… ermordet wurde«, stellte ich in eisigem Ton richtig.
    »Das war ein Irrtum. Der Tod deines Vaters war ein Missverständnis.«
    Verständnislos schaute ich ihn an.
    »Diese Typen hatten es nicht auf ihn abgesehen. Sie irrten sich.«
    Ich erinnerte mich an die Blicke der drei Angreifer im Nebel, an den Schießpulvergeruch und das Blut meines Vaters, das schwarz zwischen meinen Fingern hindurchsickerte.
    »Mich wollten sie umbringen«, sagte Vidal mit hauchdünner Stimme. »Ein ehemaliger Geschäftspartner meines Vaters hatte entdeckt, dass seine Frau und ich …«
    Ich schloss die Augen und hörte in mir ein düsteres Lachen aufsteigen. Mein Vater von Kugeln durchlöchert wegen einer Weibergeschichte des großen Pedro Vidal.
    »Sag etwas, bitte«, flehte er.
    Ich öffnete die Augen.
     
    »Und was ist das Zweite, was Sie mir zu sagen haben?«
    Die Angst hatte ihn fest im Griff. Sie stand ihm gut. »Ich habe Cristina gebeten, mich zu heiraten.« Langes Schweigen. »Sie hat eingewilligt.«
    Er senkte den Blick. Einer der Kellner brachte die Vorspeisen und stellte sie mit einem »Bon appétit« auf den Tisch. Vidal wagte mich nicht mehr anzusehen. Die Vorspeisen wurden kalt. Kurz darauf nahm ich Die Schritte des Himmels und ging.
     
    Nachdem ich die Maison Dorée verlassen hatte, ertappte ich mich dabei, wie ich mit meinem Buch die Ramblas hinabging. Je näher ich der Ecke kam, wo die Calle del Carmen abzweigte, desto mehr zitterten meine Hände. Vor dem Schaufenster des Juweliers Bagués blieb ich stehen, als wollte ich die rubingespickten Goldmedaillons in Form von Feen und Blumen studieren. Die barock wuchernde Fassade des Warenhauses El Indio befand sich nur wenige Meter entfernt – es sah eher aus wie ein Basar für Wunderdinge denn wie eine Tuchhalle. Langsam ging ich darauf zu und trat in den Vorraum. Ich wusste, dass sie mich nicht erkennen konnte, dass vielleicht nicht einmal ich sie wiedererkannte, aber trotzdem blieb ich fünf Minuten dort draußen stehen, bevor ich hineinzugehen wagte. Schließlich trat ich mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen ein.
    An den Wänden reihten sich Regale mit großen Stoffballen aneinander, und auf den Tischen zeigten die Verkäufer, mit Maßbändern und am Gürtel befestigten Spezialscheren, den von ihren Zofen und Schneiderinnen eskortierten betuchten Damen die erstklassigen Stoffe.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein, mein Herr?«, fragte ein korpulenter Mann mit Fistelstimme. Er steckte in einem Flanellanzug, der jeden Moment zu zerplatzen und den Laden mit flatternden Stofffetzen zu übersäen drohte. Er schaute mich herablassend und mit gezwungenem, feindseligem Lächeln an.
    »Nein«, hauchte ich.
    Da sah ich sie. Meine Mutter kam mit einer Handvoll Stoffresten in der Hand eine Treppe hinunter. Sie trug eine weiße Bluse, und ich erkannte sie auf der Stelle. Ihre Figur war ein wenig in die Breite gegangen, und in ihren jetzt weicheren Zügen lag etwas von dem Ausdruck einer durch Routine und Enttäuschung besiegten Frau. Aufgebracht redete der Verkäufer weiter auf mich ein, aber ich nahm ihn kaum noch wahr. Ich sah nur sie, wie sie näher kam und an mir vorüberging. Eine Sekunde lang schaute sie mir in die Augen, und als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete, lächelte sie mir artig zu, wie man einem Kunden oder dem Chef zulächelt, dann machte sie sich wieder an die Arbeit. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich brachte kaum die Lippen auseinander, um den Verkäufer zum Schweigen zu bringen, und mit Tränen in den Augen stürzte ich zum Ausgang. In einem Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite setzte ich mich an einen Fenstertisch, um den Eingang des El Indio im Auge zu behalten, und wartete.
     
    Nach fast anderthalb Stunden sah ich den Verkäufer heraustreten und das Eingangsgitter herunterlassen. Gleich darauf gingen die Lichter aus, und einige der Verkäuferinnen erschienen am Personaleingang. Ich trat auf die Straße hinaus. Im Hauseingang nebenan saß ein etwa zehnjähriger Junge und schaute mich an. Ich winkte ihn herbei und zeigte ihm eine Münze. Er lächelte so breit, dass man all

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