Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
hörte das Flüstern des Windes hinter den Scheiben.
25
Ich träumte, das Haus gehe langsam unter. Anfänglich quollen aus den Fugen zwischen den Fliesen, aus den Rissen in den Wänden, den Deckenreliefs, den Lampenkugeln, den Schlüssellöchern nur kleine, dunkle Wassertropfen. Diese kalte Flüssigkeit glitt schwerfällig wie träges Quecksilber dahin und bildete mit der Zeit eine Schicht, die erst den Boden und meine Füße bedeckte und dann rasch anstieg. Ich blieb im Sessel sitzen und sah zu, wie das Wasser meine Kehle und in wenigen Sekunden die Decke erreichte. Ich trieb dahin und sah blasse Lichter hinter den Fenstern flackern. Es waren menschliche Gestalten, die ebenfalls in der Wasserfinsternis schwebten. Sie wurden von der Strömung erfasst und streckten mir die Hände entgegen, doch ich konnte ihnen nicht helfen, das Wasser riss sie unaufhaltsam mit. Corellis hunderttausend Francs umschwammen mich wie Papierfische. Ich durchkreuzte den Salon und näherte mich einer geschlossenen Tür am anderen Ende. Durchs Schlüsselloch drang schwaches Licht. Ich öffnete die Tür und sah, dass dahinter eine Treppe nach unten führte. Ich ließ mich hinuntersinken.
Am Ende der Treppe tat sich ein ovaler Saal auf, in dessen Mitte eine Reihe von Gestalten im Kreis beisammenstanden. Als ich eintrat, drehten sie sich um, und ich sah, dass sie weiß gekleidet waren und Masken und Handschuhe trugen. Helle weiße Lampen beleuchteten etwas, was wie ein Operationstisch aussah. Ein Mann ohne Gesichtszüge und Augen ordnete auf einem Tablett chirurgische Instrumente. Eine der Gestalten winkte mich heran. Ich folgte der Aufforderung und spürte, wie ich an Kopf und Körper gepackt und auf den Tisch gebettet wurde. Das Licht blendete mich, aber ich konnte dennoch sehen, dass alle Gestalten identisch waren und Dr. Trías’ Gesicht besaßen. Ich lachte lautlos. Einer der Ärzte hatte eine Spritze in der Hand und setzte sie mir an den Hals. Ich spürte keinen Einstich, nur ein angenehmes, warmes Gefühl von Taubheit, das sich in meinem Körper ausbreitete. Zwei der Ärzte legten meinen Kopf in eine Halterung und passten den Kranz der Schrauben an, an deren Ende eine gepolsterte Platte befestigt war. Ich spürte, wie meine Arme und Beine mit Riemen festgeschnallt wurden, und leistete keinen Widerstand. Als mein Körper von Kopf bis Fuß fixiert war, reichte einer der Ärzte einem seiner Doppelgänger ein Skalpell, und der beugte sich über mich. Ich spürte, wie jemand meine Hand nahm und festhielt. Es war ein Kind, das mich zärtlich anschaute und aussah wie ich am Tag der Ermordung meines Vaters.
Ich sah die Schneide des Skalpells sich in der flüssigen Finsternis herabsenken und fühlte, wie das Messer in meine Stirn schnitt, ohne dass ich irgendwelchen Schmerz empfand. Ich spürte, wie etwas aus dem Schnitt floss, und eine schwarze Blutwolke breitete sich langsam im Wasser aus. Das Blut stieg wie Rauchkringel zu den Lampen empor und bildete immer neue Formen. Ich schaute den Jungen an, der mir zulächelte und kräftig die Hand drückte. Da spürte ich es. In mir bewegte sich etwas. Etwas, was noch vor einem Augenblick meinen Geist fest umklammert hatte. Ich spürte, dass sich etwas zurückzog, wie ein Stachel, der einem im Fleisch steckt und der dann mit der Pinzette herausgezogen wird. Ich wurde von Panik gepackt und wollte aufstehen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Der Junge schaute mich fest an und nickte. Ich glaubte, das Bewusstsein zu verlieren oder aber ganz zu erwachen, und da sah ich sie. Ich sah sie in den Lampen über dem Operationstisch gespiegelt. Zwei schwarze Fäden ragten aus der Wunde und bewegten sich auf meiner Haut. Eine faustgroße schwarze Spinne. Sie krabbelte mir übers Gesicht, und bevor sie vom Tisch huschen konnte, spießte einer der Chirurgen sie mit dem Skalpell auf. Er hielt sie gegen das Licht, damit ich sie sehen konnte. Sie zappelte mit den Beinen und blutete dem Licht entgegen. Auf ihrem Panzer war ein weißer Fleck, der aussah wie eine Silhouette mit ausgebreiteten Flügeln. Ein Engel. Nach einer Weile wurden ihre Beine schlaff, und ihr Körper ergab sich. Er schwebte dahin, und als ihn der Junge berühren wollte, löste er sich auf. Die Ärzte befreiten meinen Schädel aus der schraubstockähnlichen Halterung und banden mich los. Ich richtete mich mit ihrer Hilfe auf dem Tisch auf und hielt mir die Hand an die Stirn. Die Wunde begann sich bereits langsam zu schließen. Als ich mich
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