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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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von unendlicher Tiefe.
    »Ich habe gesagt, ich will, dass Sie für mich eine Religion erschaffen.«
    Lange schaute ich ihn stumm an.
     
    »Sie machen sich lustig über mich.« Er schüttelte den Kopf und nippte genussvoll an seinem Wein.
    »Ich will, dass Sie ein Jahr lang mit Leib und Seele und Ihrem ganzen Talent an dem größten Werk arbeiten, das Sie je schaffen werden: an einer Religion.«
    Ich konnte nicht umhin, laut zu lachen.
    »Sie sind vollkommen verrückt. Das ist Ihr Angebot? Das ist das Buch, das ich für Sie schreiben soll?«
    Corelli nickte gelassen.
    »Sie haben sich im Schriftsteller geirrt. Ich habe keine Ahnung von Religion.«
    »Darüber machen Sie sich mal keine Gedanken. Das übernehme ich. Ich suche keinen Theologen. Ich suche einen Erzähler. Wissen Sie, was eine Religion ist, mein lieber Martín?«
    »Ich erinnere mich mit Mühe und Not ans Vaterunser.«
    »Ein wunderbares, sehr kunstvolles Gebet. Aber Poesie beiseite, eine Religion ist ein Moralkodex, der sich mithilfe von Legenden, Mythen oder irgendeiner anderen literarischen Form ausdrückt. So wird ein Netz von Werten und Normen gespannt, das eine Kultur oder eine Gemeinschaft zusammenhält und leitet.«
    »Amen«, erwiderte ich.
    »Wie in der Literatur, überhaupt bei jeder Äußerung, ist es die Form und nicht der Inhalt, die dem Ganzen Wirksamkeit verleiht«, fuhr er fort.
    »Sie wollen mir also sagen, eine Lehre sei eine Erzählung.«
    »Alles ist eine Erzählung, Martín. Das, was wir glauben, was wir wissen, woran wir uns erinnern und sogar was wir träumen. Alles ist eine Erzählung, eine Geschichte, eine Folge von Ereignissen und Personen, die etwas Emotionales vermittelt. Ein Glaubensakt ist ein Akt der Annahme – wir akzeptieren eine Geschichte, die uns erzählt wird. Und wir akzeptieren nur als wahr, was erzählt werden kann. Sagen Sie nicht, Sie finden den Gedanken nicht verlockend.«
    »Nein.«
    »Reizt es Sie nicht, eine Geschichte zu schreiben, für die die Menschen leben und sterben würden, für die sie töten und den eigenen Tod in Kauf nehmen würden, für die sie opfern und verdammen und ihre Seele aushauchen würden? Kann es für einen Schriftsteller eine größere Herausforderung geben, als eine so gewaltige Geschichte zu erschaffen, dass sie ihr Erdichtetsein vergessen lässt und zur offenbarten Wahrheit wird?«
    Wir schauten uns einige Sekunden schweigend an.
    »Ich glaube, Sie kennen meine Antwort schon«, sagte ich schließlich.
    Corelli lächelte.
    »Ich schon. Der, der sie, glaube ich, noch nicht kennt, sind Sie.«
    »Danke für Ihre Gesellschaft, Señor Corelli. Und für den Wein und den Vortrag. Sehr provokativ. Passen Sie gut auf, vor wem Sie ihn halten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihren Mann finden und dass sein Pamphlet ein voller Erfolg wird.«
    Ich stand auf, um zu gehen.
    »Werden Sie irgendwo erwartet, Señor Martín?«
    Ich gab keine Antwort, blieb aber stehen.
    »Macht es einen nicht wütend, zu wissen, dass es so viele Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt, gesund und vermögend, ungebunden?«, sagte Corelli in meinem Rücken. »Macht es einen nicht wütend, wenn sie einem aus der Hand gerissen werden?«
    Langsam wandte ich mich um.
    »Was ist schon ein Jahr Arbeit angesichts der Möglichkeit, dass alles Wirklichkeit wird, was man sich wünscht? Was ist ein Jahr Arbeit angesichts der Aussicht auf ein langes, erfülltes Leben?«
    Nichts, dachte ich gegen meinen Willen. Nichts.
    »Ist es das, was Sie mir versprechen?«
    »Nennen Sie Ihren Preis. Wollen Sie die Welt in Brand stecken und mitbrennen? Tun wir es gemeinsam. Sie bestimmen den Preis. Ich bin bereit, Ihnen zu geben, was Sie sich am meisten wünschen.«
    »Ich weiß nicht, was ich mir am meisten wünsche.«
    »Ich glaube, das wissen Sie sehr wohl.«
    Der Verleger lächelte und blinzelte mir zu. Er stand auf und ging zu einer Kommode, auf der eine Lampe stand. Er zog die oberste Schublade auf, entnahm ihr einen Pergamentumschlag und streckte ihn mir hin, aber ich lehnte ab. Er legte ihn auf den Tisch zwischen uns und setzte sich wieder, wortlos. Der Umschlag war offen, und ich glaubte, darin mehrere Bündel Hundert-Francs-Scheine zu erkennen. Ein Vermögen.
    »Sie verwahren so viel Geld in einer Schublade und lassen Ihre Tür offen?«, fragte ich.
    »Sie können es nachzählen. Wenn es Ihnen zu wenig scheint, nennen Sie eine Zahl. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mit Ihnen nicht über Geld streiten werde.«
    Lange schaute ich

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