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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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abermals umschaute, sah ich, dass ich allein war.
    Die Lampen gingen aus, und der Operationssaal lag im Halbdunkel. Ich bewegte mich zur Treppe und schwebte zum Salon hinauf. Das erste Licht des Tages sickerte durchs Wasser und erfasste tausend treibende Partikel. Ich war müde – müder, als ich in meinem Leben je gewesen war. Ich kämpfte mich zum Sessel und ließ mich hineinsinken. Mein Körper sackte langsam zusammen, und als er endlich zur Ruhe kam, sah ich an der Decke kleine Bläschen herumschwirren. Dann bildete sich dort eine kleine Luftkammer, und ich begriff, dass der Wasserspiegel abzufallen begann. Das Wasser, dicht und glänzend wie Gelatine, sprudelte durch die Fensterritzen, als wäre das Haus ein aus den Tiefen auftauchendes Unterseeboot. Ich rollte mich im Sessel zusammen und gab mich einem Gefühl von Schwerelosigkeit und Frieden hin, von dem ich mir wünschte, es möchte niemals aufhören. Ich schloss die Augen und hörte das Gurgeln des Wassers um mich herum. Als ich sie wieder öffnete, sah ich ganz langsam Tropfen wie Tränen herabfallen, die jederzeit versiegen konnten. Ich war müde, sehr müde, und sehnte mich nach tiefem Schlaf.
    Ich öffnete die Augen in der grellen Helle eines warmen Mittags. Das Licht fiel durch die großen Fenster wie Staub. Als Erstes sah ich, dass die hunderttausend Francs noch immer auf der Kommode lagen. Ich stand auf, trat ans Fenster und zog die Vorhänge auf, sodass gleißendes Sonnenlicht den Salon überschwemmte. Barcelona war noch da, flirrend wie eine Fata Morgana. Da bemerkte ich, dass das Sausen in meinen Ohren, das sonst nur vom Straßenlärm übertönt wurde, vollkommen verschwunden war. Ich hörte eine dichte Stille, rein wie kristallklares Wasser, wie ich sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Ich hörte mich selbst lachen. Ich fasste mir an den Kopf, betastete die Haut und spürte nicht den leisesten Druck. Mein Sehvermögen war nicht im Geringsten beeinträchtigt, überhaupt hatte ich den Eindruck, meine fünf Sinne seien eben erst zum Leben erwacht. Ich konnte das alte Holz der Täfelung an Decken und Pfeilern riechen. Ich schaute mich nach einem Spiegel um, aber im ganzen Salon gab es keinen. So machte ich mich auf die Suche nach einem Bad oder einem anderen Zimmer, um mich anhand meines Ebenbildes versichern zu können, dass ich nicht im Körper eines Unbekannten erwacht war, dass die Haut, die ich spürte, dass diese Knochen mir gehörten. Sämtliche Türen waren verschlossen. Wieder im Salon, stellte ich fest, dass dort, wo ich eine Tür zum Keller geträumt hatte, bloß das Bild eines Engels hing, der mitten in einem unendlichen See auf einem Felsen hockte. Ich ging zu der in die oberen Stockwerke hinaufführenden Treppe, aber vor der ersten Stufe blieb ich stehen. Jenseits der Helle um mich herum schien eine schwere, undurchdringliche Dunkelheit zu hausen. »Señor Corelli?«, rief ich.
    Meine Stimme verlor sich ohne jeden Nachhall, als wäre sie verschluckt worden. Ich ging in den Salon zurück und sah das Geld auf dem Tisch. Hunderttausend Francs. Ich nahm den Umschlag und wog ihn in der Hand. Das Papier war samtweich. Ich steckte das Kuvert in die Tasche und ging abermals durch den Korridor in Richtung Ausgang. Noch immer sahen mich die unzähligen porträtierten Gesichter mit der Intensität eines Versprechens an. Ich mochte mich diesen Blicken nicht aussetzen und ging auf die Tür zu, aber kurz vor dem Hinausgehen bemerkte ich, dass einer der Rahmen leer war. Ich nahm einen süßen, pergamentartigen Geruch wahr und merkte, dass er von meinen Fingern kam. Es war der Geruch des Geldes. Ich öffnete die Eingangstür und trat ins Tageslicht hinaus. Schwer fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Ich wandte mich um und betrachtete das düstere, stille Haus, so fern des strahlenden Lichts dieses makellosen Tages. Die Uhr zeigte mir, dass es schon nach ein Uhr mittags war. Ich hatte über zwölf Stunden ohne Unterbrechung in einem alten Sessel geschlafen und mich in meinem ganzen Leben nie besser gefühlt.
     
     
    Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und der Gewissheit, dass mir die Welt zum ersten Mal seit langem zulächelte, vielleicht zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben, machte ich mich hügelabwärts auf den Rückweg in die Stadt.
     
     

Zweiter Akt
     
     
     
    Lux Aeterna
     
     

 1
    Meine Rückkehr in die Welt der Lebenden feierte ich, indem ich einem der mächtigsten Tempel der Stadt meine Reverenz erwies: dem Stammhaus der Bank

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