Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
einem Fremden gegenüber so am Telefon reden.
    Ein Fremder?
    »Ich wollte Sie nur informieren«, sagte ich. »Sie müssen doch einsehen, dass ich es nicht zulassen kann, dass Sie endlos so weitermachen?«
    »Darf ich Sie darum bitten ...«
    Ich legte den Hörer auf. Zwängte mich aus der Kabine und bezahlte. Warf meine beiden Briefe ein.
    Der eine war an Studienrat Jakob Daniel Marr.
    Der andere an Verner Maasleitner, seinen alten Schüler, der sich offensichtlich im Augenblick auf dem breiten Weg befand, der sich bereits während seiner Gymnasialzeit schon so deutlich für ihn abgezeichnet hatte.
    Dann suchte ich den Laden auf. Füllte meinen Vorrat auf, kaufte zwei Tageszeitungen und ging anschließend wieder zurück in den Wald.
    Nicht ohne eine gewisse Befriedigung.

    29

    Wieder R

    Heute Nacht träumte ich von R.
    Ein ekliger Traum, der mir noch einen Großteil des Tages nachhing. Ich hätte viel dafür gegeben, hätte ich ein paar Gedanken mit ihm austauschen können, aber das scheint wohl unmöglich zu sein. Laut Piirs ist R vor mehr als dreißig Jahren in Breytenberg aufgenommen worden ... vor fünfunddreißig vielleicht schon ... natürlich ist es möglich, dass er immer noch dort ist. Achtzig, fünfundachtzig Jahre alt. Ein Teil der Psychiatriepatienten erreicht tatsächlich ein sehr hohes Alter, ganz im Gegensatz zu den Vorstellungen einiger Menschen. Aus meiner eigenen Zeit dort erinnere ich mich noch an zwei alte Greise, die unter den Namen Tod und Pein liefen und die beide fünfundneunzig geworden sind.
    Aber auch wenn er noch am Leben ist ... an wie viel erinnert er sich noch? Wie soll ich Kontakt zu ihm aufnehmen? Über Piirs? Und würde er mir etwas geben können? Worauf will ich eigentlich hinaus? Auf jeden Fall erscheint die Sache sehr kompliziert, und je länger ich darüber nachdenke, umso überzeugter bin ich, dass ich gar nicht erst den Versuch wagen werde. Der mögliche Ertrag ist den Einsatz nicht wert.
    Aber dennoch denke ich über ihn nach. Vielleicht könnte ich zumindest versuchen, die »Psychiatrische Zeitschrift« zu bekommen ... 6/63 war es, oder?
    Im Traum wanderte er, R also, durch eine leere, nächtliche Stadt. Schmutziggelbes Licht reflektierte sich in nassen Straßen, seine Schritte hallten zwischen den Wänden wider, und in weiter Ferne waren Polizeisirenen zu hören, die sich aber nicht näherten, sie schienen ihn eher zu umkreisen, draußen in abgelegenen Vororten.
    Mit schnellem Schritt ging er, Straße auf und Straße ab, überquerte eine Gasse, lief über einen Markt, hastete über eine Brücke, ich folgte ihm ohne Probleme, je mehr Zeit verging, umso deutlicher wurde, dass ich nicht nur Zuschauer und Beobachter in dem Stück war, ich war ihm wirklich auf den Fersen ... zweifellos war es eilig, zweifellos war er sich dessen bewusst, dass ihn jemand verfolgte. Während er seine Geschwindigkeit beschleunigte, warf er immer häufiger einen Blick über die Schulter, und ich konnte sehen, dass ihm die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Bald verstand ich auch, dass ich derjenige war, den er fürchtete, nicht, weil ich ihm etwas antun könnte, sondern weil ich ihn daran hindern könnte, sein wichtiges Ziel zu erreichen, das irgendwo in der widerhallenden, leeren Stadt vor uns lag. Schräge Schatten und schiefe Lichtblitze schossen aus allen möglichen Ecken hervor und kreuzten unseren Weg. Wieder Wells oder Lang offenbar. Das Geräusch unserer Schuhe auf den nassen Pflastersteinen verstärkte und verzerrte sich immer mehr, plötzlich war die Stille voller Geräusche und Widerhall ... Hunde, die bellten und Mülltonnen umwarfen, kreischende Gitter, die vor dunklen Nischen geschlossen wurden, Autoreifen, die auf dem Asphalt quietschten, und dann kamen wir, inzwischen fast Schulter an Schulter, zu einer hohen, offenen Tür. Wir stürmten in den großen Saal, leer bis auf eine Marmorbank ganz hinten unter dem spitz zulaufenden Dach, einen erhöhten Tisch, an dem ein halbes Dutzend Laborarbeiter eifrig die letzten Details korrigierte, bevor alles vollendet werden konnte ... auf diesem Tisch, hell erleuchtet durch einen fast blendenden weißen Lichtschein, thronte ein Glaskasten, gefüllt mit grünlicher Flüssigkeit und einem Fötus. Einem Fötus in Mannsgröße, mit ausgestreckten Armen, der Mund in dem grotesken Gesicht öffnete und schloss sich, als spräche er in einer stummen, ausgestorbenen Sprache dort unten in dem grünen Fruchtwasser.
    Und wir beide drängten uns

Weitere Kostenlose Bücher