Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
holen«, schien sie zu sagen. Zentimeter für Zentimeter schob er sich um den Schreibtisch herum, den Rücken zum Fenster und den Blick ins Zimmer gerichtet.
    Etwas klopfte energisch dreimal ans Fenster. Er fuhr herum. Nichts. Nur die Kastanie im Nachbargarten wiegte sich sanft im Sommerwind.
    Nichts zu sehen.
    In diesem Moment rollte einer der Stifte, die er ausgeschüttet hatte, über den Tisch und fiel auf den Teppich. Er verursachte dabei kein Geräusch, doch der Junge sah es aus dem Augenwinkel. Ein zweiter Stift fing an, hin und her zu schaukeln, erst langsam, dann immer schneller. Plötzlich trudelte er davon, prallte am Computer ab und purzelte über die Schreibtischkante auf den Boden. Der nächste Stift folgte seinem Beispiel. Dann noch einer. Mit einem Mal rollten die Stifte in alle Richtungen, sausten über den Tisch, stießen zusammen, stürzten ab, blieben auf dem Teppich liegen.
    Der Junge schaute zu. Der letzte Stift fiel.
    Der Junge rührte sich nicht.
    Etwas lachte ihm leise ins Ohr.
    Er schrie auf und schlug danach, traf aber ins Leere. Durch den Schwung der Bewegung drehte er sich wieder zum Schreibtisch herum. Das Etui lag direkt vor seiner Nase. Er griff danach, ließ es aber sofort wieder los. Die Sonne hatte das Metall so aufgeheizt, dass es ihm die Hand verbrannte. Das Etui knallte gegen den Computer, der Deckel sprang ab und eine Hornbrille fiel heraus. Im nächsten Augenblick hatte der Junge sie in der Hand und rannte zur Tür.
    Etwas folgte ihm. Er hörte es hinter sich herhüpfen.
    Er hatte die Tür schon fast erreicht, sah schon die Stufen, die ihn zu seinem Meister zurückführten, da fiel die Tür krachend ins Schloss.
    Der Junge rüttelte am Türknauf, hämmerte mit den Fäusten gegen das Holz, rief mit ersticktem Schluchzen nach seinem Meister, doch vergebens. Etwas flüsterte ihm ins Ohr, doch er verstand die Worte nicht. In Todesangst trat er mit dem kleinen schwarzen Schuh gegen die Tür, stieß sich aber bloß den großen Zeh.
    Er drehte sich um und nahm seinen ganzen Mut zusammen.
    Ringsherum hörte er zartes Rascheln, leises Tapsen und flüchtiges Flattern, als streifte etwas Unsichtbares, Huschendes den Teppich, die Bücher, die Regale und sogar die Zimmerdecke. Eines der dünnen Rollos schaukelte leicht in einem nicht vorhandenen Luftzug.
    Trotz seiner Tränen, trotz seiner Panik fand der Junge die Sprache wieder.
    »Aufhören!«, rief er. »Hinweg!«
    Sofort verstummten das Rascheln, Tapsen und Flattern. Das Rollo schaukelte langsamer, pendelte aus und kam zur Ruhe.
    Es war totenstill.
    Nach Atem ringend, stand der Junge mit dem Rücken zur Tür und sah sich um. Nichts war mehr zu hören.
    Ihm fiel die Brille ein, die er immer noch in der Hand hielt. Obwohl ihm die Angst die Kehle zuschnürte, erinnerte er sich, dass ihm sein Meister befohlen hatte, sie aufzusetzen, bevor er sich auf den Rückweg machte. Vielleicht ging ja dann die Tür zur Treppe auf und er war in Sicherheit.
    Mit zitternden Fingern setzte er die Brille auf.
    Und sah, was in dem Arbeitszimmer wirklich los war.
    Hunderte kleiner Dämonen okkupierten jeden vorhandenen Quadratzentimeter. Sie waren überall, einer über dem anderen wie Melonenkerne oder Nüsse in einem Sack. Füße zermanschten Gesichter, Ellbogen bohrten sich in Bäuche. Sie drängten sich so dicht an dicht, dass der Teppich unter ihnen nicht mehr zu sehen war. Anzüglich grinsend hockten sie auf dem Schreibtisch, hingen an Lampen und Bücherregalen oder schwebten auf der Stelle. Einige balancierten auf den vorstehenden Nasen anderer oder baumelten von deren Gliedmaßen. Manche hatten riesige Körper mit apfelsinengroßen Köpfen, bei anderen war es umgekehrt. Es gab Schwänze und Flügel und Hörner und Warzen sowie zusätzliche Hände, Mäuler, Füße und Augen. Zu viele Schuppen, zu viele Haare und anderes mehr sprossen an den unmöglichsten Stellen. Manche besaßen Schnäbel, wieder andere Saugrüssel, die meisten hatten Zähne. Sie schillerten in allen Regenbogenfarben, oft in unpassenden Kombinationen. Und alle strengten sich mächtig an, mucksmäuschenstill zu sein, damit der Junge glauben sollte, dass niemand da war. Sie gaben sich die größte Mühe, trotz des unterdrückten Zappelns und Zitterns von Schwänzen und Flügeln und des unwillkürlichen Zuckens ihrer ausdrucksvollen Mäuler regungslos in ihren Stellungen zu verharren.
    Doch als der Junge jetzt die Brille aufsetzte und sie erblickte, merkten sie, dass er sie sehen

Weitere Kostenlose Bücher