Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
eingelassen und nahezu unbeschädigt. »Ein bisschen sehr überkandidelt«, befand ich, »aber sie erfüllen ihren Zweck.«
»Dann hüpf rein.«
Ein letztes Mal standen wir einander gegenüber. »Verrate mir noch rasch«, sagte ich, »ob du die Entlassungsformel überhaupt kennst. Ich habe nicht die geringste Lust, noch Monate hier rumzulungern, während du erst mal bei einem richtigen Zauberer in die Lehre gehst.«
»Selbstverständlich kenne ich die Formel.« Das Mädchen holte tief Luft. »Bartimäus…«
»Warte mal!« Mir war etwas aufgefallen, nämlich ein Wandbild gleich gegenüber dem von Gilgamesch, Ramses und den anderen verstorbenen Oberdespoten: ein Porträt von Salomo selbst in voller Lebensgröße und all seiner Pracht. Wundersamerweise hatte es die vergangene Nacht überstanden.
Ich bückte mich nach einem verkohlten Holzstück, sprang aus meinem Bannkreis und nahm flink ein paar klitzekleine Verbesserungen vor. »So!«, sagte ich. »Physiologisch unwahrscheinlich, aber irgendwie passend. Was glaubst du, wie lange es dauert, bis er was merkt?«
Das Mädchen lachte. Und zwar zum allerersten Mal während unserer gesamten Zusammenarbeit.
»Soll ich Balkis auch noch dazu malen? Ein bisschen Platz ist noch.«
»Mach nur.«
»Na gut… So, das hätten wir.«
Ich schlenderte wieder in mein Pentagramm. Das Mädchen musterte mich mit einer belustigten Miene, die mich an Faquarl erinnerte.
»Was ist denn?«
»Du jammerst immer ständig rum, wie qualvoll deine Knechtschaft doch ist – da wäre mir fast entgangen, dass du dich dabei eigentlich köstlich amüsierst.«
Ich stellte mich wieder in Positur und fixierte sie mit einem Ausdruck blanker Verachtung. »Ein freundlicher Rat zum Abschied«, sagte ich. »Wenn du nicht extrem kompetent bist, ist es immer eine ausgesucht schlechte Idee, einen sich verabschiedenden Dschinn zu beleidigen. Insbesondere mich. Im alten Babylon hatten die Ischtar-Priester allen Zauberern unterhalb der Neunten Stufe streng verboten, sich mit mir abzugeben.« 125
»Da, du tust es schon wieder«, gab das Mädchen zurück. »Immerzu prahlst du mit deinen früheren Abenteuern. Gib schon zu, dass du auch deinen Spaß dabei hattest! Sogar letzte Nacht. Da hast du nämlich sofort aufgehört, dich über deine Versklavung zu beschweren, als der Ring plötzlich in greifbarer Nähe war.«
»Tja, also…« Ich klatschte in die Hände. »Es war eben so viel los, dass ich genug damit zu tun hatte, am Leben zu bleiben, aber mir war jeder einzelne Augenblick zuwider, das kannst du mir glauben. Und jetzt Schluss damit. Sprich die Entlassungsformel.«
Sie nickte und schloss die Augen – ein junges, mageres Ding, das die Formel in Gedanken noch einmal durchging. Ich hörte förmlich die Zahnrädchen in ihrem kleinen Kopf rattern.
Sie öffnete die Augen wieder. »Bartimäus«, sagte sie unvermittelt, »ich danke dir für alles.«
Ich räusperte mich. »Keine Ursache. Hör mal – bist du sicher, dass du die Formel kennst? Nicht dass ich plötzlich in irgendeinem stinkenden Sumpf lande oder so.«
»Keine Sorge.« Sie lächelte. »Komm mich doch mal in Saba besuchen. Dort gefällt es dir bestimmt.«
»Als ob ich das zu entscheiden hätte.«
»Aber warte nicht zu lange damit. Unsereinem steht nicht so viel Zeit zur Verfügung wie euch Geistern.«
Dann rezitierte sie tatsächlich mehr oder weniger fehlerfrei die Entlassungsformel. Ausnahmsweise überhörte ich das dreimalige Stocken, die beiden Patzer bei der Betonung und einen fürchterlich groben inhaltlichen Schnitzer. Schließlich hatte die Kleine kaum Fleisch auf den Rippen. Außerdem wollte ich jetzt wirklich los.
Ihr ging es genauso. Als meine Fesseln von mir abfielen und ich durch alle sieben Ebenen gewirbelt wurde, beobachtete ich (aus verschiedenen Blickwinkeln gleichzeitig), dass sie ihren Bannkreis bereits verlassen hatte. Aufrecht und festen Schrittes durchquerte sie Salomos verwüsteten Saal und strebte der Treppe zu, die sie aus dem Turm hinaus führte und von dort weiter in den wartenden Tag.
Anmerkungen zur Zauberei
S eit Anbeginn der Geschichtsschreibung vor über fünftausend Jahren in den Lehmziegelstädten Mesopotamiens haben die Herrscher bedeutender Völker die Unterstützung von Zauberern in Anspruch genommen. Die Pharaonen Ägyptens und die sumerischen, assyrischen und babylonischen Könige haben sich allesamt der Magie bedient, um ihre Städte zu schützen, ihre Streitkräfte zu verstärken und ihre
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