Batmans Schoenheit
einer erstaunlichen Robustheit ausgestattet war.
Cheng lernte, diesen einen Krebs aufgrund seiner Bewegungen von den anderen auseinanderzuhalten. Denn selbiger schwamm, obwohl doch älter, etwas schneller, auch gewandter, man könnte sogar sagen: verspielter. Wie eine Mischung aus Sportflugzeug und Eiskunstläufer, Loopings fliegend und Pirouetten drehend. Zudem fiel Cheng bald auf, daß der Krebs immer wieder in den zwischenzeitlich fingerdicken, jedoch überaus luftig geschichteten, geradezu wattehaft wirkenden Bodensatz hineintrieb, den er von den Seiten her gegen die Mitte schaufelte, so daß sich nach einiger Zeit ein zentraler Turm gebildet hatte, ein Turm, der bei aller Lockerheit des Materials über eine stabile Form verfügte. In diese brach der Krebs wiederholt ein, Eingänge und Ausgänge und Stollen bildend, welche aber nur eine knappe Weile hielten. Gleich sich rasch schließender Wunden. Architektur und Selbstheilung. Wobei der Krebs gleichermaßen die Rolle des Architekten wie des Baumeisters einnahm, so, wie er auch eigenhändig die kurzfristigen Wunden schlug.
Es wurde nun offenkundig, daß zum Abend hin der Krebs immer öfter den Müllberg aufsuchte und auch immer länger in seinem Inneren verweilte, ja daß er möglicherweise ganze Phasen der Nachtzeit, in der es ja nicht nur dunkler, sondern auch kälter im Gefäß wurde, in diesem selbstgebauten Haufen zubrachte. Kein anderer Krebs verhielt sich so. Wenn Cheng, aus einem unruhigen Schlaf erwacht, mit einer Taschenlampe bewaffnet ins Wohnzimmer trat und den Lichtkegel auf das Aquarium richtete, kam der Krebs aus seinem Versteck herausgeschossen, wie ertappt, auch wenn es Blödsinn war, es auf diese Weise zu sagen. Trotzdem gelangte Cheng zu der Auffassung, daß der Krebs sich ein Haus gebaut hatte, eine Herberge für die Nachtstunden, welche er Tag für Tag errichtete, eingedenk dessen, daß ja Cheng Morgen für Morgen durch das Umrühren des Wassers alles in eine hygienisch bedingte Unordnung brachte und die Architektur praktisch auflöste.
Wie sehr dies auch eine menschliche Interpretation sein mochte, Tatsache blieb, daß dieser eine Krebs sich deutlich anders verhielt und seine Eigenart in einer übernatürlichen Langlebigkeit gipfelte. Denn was wäre »übernatürlicher« gewesen als das Hintersichlassen der vorgegebenen Altersgrenze?
Etwas Derartiges verlangte nach einem Namen. Einem Namen für das Phänomen und einem Namen für den, dem das Phänomen zu verdanken war. Jetzt einmal abgesehen davon, daß es unsittlich gewesen wäre, sich ein Haustier anzuschaffen und es dann ungetauft zu lassen, so wie diese Leute, die ihre Katze Katze und ihren Hund Hund rufen.
Das Phänomen zu erklären, dazu war Cheng noch nicht in der Lage, aber wenigstens der Krebs sollte in den Genuß gelangen, bezeichnet zu werden. Zuerst überlegte Cheng, ihn Boris zu nennen, vielleicht, weil Boris so kräftig klang, auch kämpferisch. Dann aber kam Cheng seine alte Katze in den Sinn, der Kater Batman, der bei Chengs erster Frau lebte und welcher zwar nicht »übernatürlich« alt war (noch nicht), doch für Katzenverhältnisse durchaus methusalemisch. Zudem wirkte er für seine Jahre ungemein fit, verfressen wie eh und je, launisch wie eh und je, nicht zuletzt auf eine elastische Weise unbeugsam. Ja, es bestanden zahlreiche Merkmale, die Chengs alten Kater − der einst in genau dieser Wohnung, als sie noch ein Detektivbüro gewesen war, seine Haare verteilt hatte − mit jenem famosen kleinen Salzkrebschen verband.
»Ich taufe dich Batman«, sagte Cheng so feierlich wie leise. Denn es war Nacht und er stand mit der Taschenlampe am Fensterbrett. Er kam sich ein wenig komisch vor. Andererseits hatte es in seinem Leben schon weit abstrusere Situationen gegeben.
Gut, die Geschichte war noch nicht zu Ende.
Drittes Bild:
Hamburg
Damals, bei ihrer ersten Begegnung, war Hemingway erst zweiundzwanzig Jahre alt. Allerdings hieß er da schon anders. Gerade mal großjährig, hatte er sich die Freiheit genommen, den Namen seiner Eltern abzulegen und sich einen gänzlich neuen zu wählen.
Der Verdacht liegt nahe, daß er nur darum Künstler geworden war, um sich dank der inszenatorischen Möglichkeiten dieses Berufs einen erfundenen Namen anzueignen. Er nannte sich Red, einfach nur Red, weil fast alle seine Bilder und Objekte, an denen er mit fanatischem Ehrgeiz herumwerkelte, in den verschiedenen Tönen und Abstufungen der Farbe Rot gehalten waren. Sein
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