BattleTech 47: Die Spitze des Dolches
ihrer Gesellschaft zugebracht hatte, es nicht schaffte, sie aus einer Menschenmasse herauszupicken. Jetzt sah er sich der Verkörperung dieser Legende gegenüber.
Der Mann war um ein Winziges kleiner als der Durchschnitt. Sein kurzes schwarzes Haar umrahmte Züge mit stark orientalischem Einschlag. Gekleidet war er in die dunkelgraugrüne Gefechtsmontur des Capellanischen Heers. Seine Rangabzeichen wiesen den Neuankömmling als Zhong-shao aus. Formell war Christobal dem Mann vorgesetzt, der ihm zielsicher durch den Salon entgegentrat, aber er wusste, dass es sich dabei wirklich nur um eine Formalität handelte.
An der linken Brusttasche des capellanischen Offiziers prangte ein winziger silberner Totenkopf. Dieses kleine, leicht zu übersehende Abzeichen wies ihn als Mitglied der Todeskommandos aus. Diese Eliteeinheit gehörte selbst unter den besten Kriegern der Konföderation Capella zu den loyalsten. Vor der Übernahme in den aktiven Dienst leistete jedes Mitglied der Todeskommandos einen persönlichen ›Bluteid‹ auf den Kanzler. Der Preis für den Bruch dieses Schwurs war der Tod von der Hand seiner Kameraden. Zusätzlich zu den militärischen Fähigkeiten anderer Militärs wurden die Todeskommandos in Spionage, Nachrichtenanalyse, Sabotage und anderen, weniger angenehmen Aufgaben ausgebildet. Viele waren erstklassige MechKrieger, Jagdflieger oder Raumpiloten. Christobal wusste sofort, dass das sein Nachfolger war.
Hinter dem ›grauen Mann‹ folgte eine Frau mit blauen Augen und schulterlangem dunkelblondem Haar, die eigentlich attraktiv hätte sein müssen, es aber aus irgendeinem unerklärbaren Grund nicht war. Als Einzige in der kleinen Gruppe, die dem Offizier der Todeskommandos folgte, trug sie nicht die Uniform des Capellanischen Heers. Stattdessen war unter einer standardmäßigen capellanischen Uniformjacke ein weites, ausgebleicht braunes Leinenhemd zu sehen. Eine offensichtlich nicht aus der Konföderation stammende schwarze Jeanshose steckte in schwarzen Kampfstiefeln der lyranischen Streitkräfte. Die offene Zurschaustellung der geschmuggelten Jeans sagte mehr über sie aus als die Gesellschaft, in der sie sich aufhielt. Sie zeigte nicht die geringste Angst, dass der Besitz im capellanischen Raum ausdrücklich verbotener Waren irgendwelche auch noch so geringfügigen Folgen für sie haben könnte. Ein in einem Dschungeltarnschema gehaltener Baumwollschal lag um ihren Hals. In der rechten Hand trug sie einen schweren schwarzen Metallkoffer.
Die Frau bemerkte Christobals Blick und erwiderte ihn mit der von keinem Blinzeln getrübten Intensität einer Schaufensterpuppe. Jetzt erkannte er, was ihr durchaus ansehnliches Äußeres so wenig anziehend machte: Sie hatte den leersten Blick, den er je gesehen hatte.
»Sang-shao Christobal? Ich bin Zhong-shao Cheng Shao, Kommandeur des 116. Heimatregiments. Ich bin Ihre Ablösung, Herr.« Der Kommandosoldat verbeugte sich kurz und zackig.
Christobal zuckte zusammen. Er war so versunken in die Betrachtung der Frau gewesen, dass ihm gar nicht bewusst geworden war, dass Shao ihn erreicht hatte. »Ah, ahm, ja«, stammelte er und sprang auf. »Sang-shao Samuel Christobal, McCarron's Armored Cavalry«, stieß er aus, verzweifelt bemüht, Haltung zu bewahren und die Regeln der Höflichkeit zu beachten. »Willkommen auf Milos, Zhong-shao.« Ein amüsiertes Flackern zuckte durch Shaos Augen. Christobal hatte den Eindruck, dass der Mann von Anfang an geplant hatte, ihn mit seinem plötzlichen Auftauchen aus der Ruhe zu bringen.
»Darf ich Ihnen meinen Adjutanten vorstellen? Das ist Sao-wei Claus Basara.« Ein blonder junger Mann trat vor, verbeugte sich und streckte Christobal die rechte Hand hin. Er nahm sie, teilweise aus Höflichkeit, teilweise als willkommene Gelegenheit, seine Haltung zurückzugewinnen. Der Sao-wei trug ebenso wie Shao die Uniform des Capellanischen Heeres, aber im Gegensatz zu seinem Kommandeur ohne das Abzeichen der Todeskommandos.
»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sangshao«, erklärte Basara mit breitem Grinsen. »Lassen Sie sich vom Zhong-shao nicht zu sehr einschüchtern. Manchmal glaube ich, er hat Spaß daran, den Leuten mit dem Ruf der Todeskommandos Angst einzujagen.«
Shao stöhnte leise und rollte mit den Augen. Die schlichte Geste anhaltender Frustration über das unmilitärische Auftreten eines Untergebenen verwandelte ihn innerhalb eines Augenblicks von einem Objekt des ängstlichen Unbehagens in einen Menschen
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