Baudolino - Eco, U: Baudolino
Herr Jesus getrunken habe.
»Ach ja? Und woraus ist er?«
»Ganz aus Gold, besetzt mit Lapislazuli.«
»Da siehst du mal wieder, wie dumm du bist! Unser Herr Jesus war der Sohn eines Zimmermanns und lebte zusammen mit Hungerleidern, die noch ärmer waren als er. Sein ganzes Leben lang hat er dasselbe Gewand getragen, der Priester in der Kirche hat uns gesagt, dass es keine Nähte hatte, damit es nicht kaputtging, bevor er das dreiunddreißigste Jahr vollendet hatte, und jetzt kommst du daher und willst mir erzählen, dass er sich's gut gehen ließ mit einem Kelch aus Gold und Lapizzupappzuli! Was erzählst du mir da? Es wär schon viel gewesen, wenn er so eine Schale wie diese da gehabt hätte, die ihm sein Vater aus einer Wurzel geschnitzt haben könnte, wie ich's mir gemacht hab. So was hält ein Leben lang und zerbricht nicht mal, wenn du mit dem Hammer draufhaust, nein wirklich! Aber wo ich grad davon rede, gib mir nochmal ein bisschen was von diesem Blut Christi rüber, das ist das einzige, was einem hilft, auf gute Weise zu sterben.«
Bei allen Teufeln der Hölle! sagte sich Baudolino. Dieser arme Alte hat recht! Der Gradal muss eine Schale wie diese da gewesen sein! Schlicht, schmucklos, arm wie Unser Herr Jesus Christus. Darum ist er womöglich hier, in jedermanns Reichweite, und keiner hat ihn jemals erkannt, weil sie immer nach etwas Funkelndem und Glänzendem suchten!
Man soll nun jedoch nicht meinen, dass Baudolino in diesen Augenblicken immer nur an den Gradal gedacht hätte. Er wollte seinen Vater nicht sterben sehen, aber er hatte begriffen, dass er, wenn er ihn sterben ließ, seinem Willen entsprach. Nach einigen Tagen war der alte Gagliaudo zusammengeschrumpft wie eine trockene Kastanie, atmete nur noch mühsam und wollte nicht mal mehr einen Schluck Wein.
»Vater«, sagte Baudolino, »wenn du wirklich sterben willst, versöhne dich mit dem Herrn, und du wirst ins Paradies kommen, das ist wie der Palast des Priesters Johannes. Der Herrgott wird auf einem großen Thron sitzen, hoch oben auf einem Turm, und über der Rückenlehne desThrones werden zwei goldene Äpfel sein, und in jedem von ihnen werden die ganze Nacht lang zwei große Karfunkel leuchten. Die Armlehnen des Thrones werden aus Smaragd sein. Die sieben Stufen, die zu ihm hinaufführen, werden sein aus Onyx, Kristall, Jaspis, Amethyst, Sardonyx, Karneol und Chrysolith. Und überall ringsum werden goldene Säulen stehen. Und über dem Thron werden Engel fliegen und werden süßeste Lieder singen ...«
»Und Teufel werden da sein und werden mich mit Fußtritten in den Hintern verjagen, weil an einem solchen Ort einer wie ich, der nach Dung und Jauche stinkt, nicht erwünscht ist. Aber sei jetzt still ...«
Dann plötzlich riss er die Augen auf und versuchte sich aufzurichten, während Baudolino ihn stützte. »O Herr im Himmel, jetzt sterbe ich wirklich, denn ich sehe das Paradies. Oh, wie schön es ist ...«
»Was siehst du, Vater?« Baudolino schluckte.
»Es ist genau wie unser Stall, aber ganz sauber, und da steht auch Rosina ... Und da ist diese Heilige, deine Mutter. He, Alte, sag mir jetzt, wo du die Mistgabel hingeräumt hast ...«
Gagliaudo gab einen Rülpser von sich, ließ die Schale fallen und blieb reglos liegen, die Augen noch immer weit aufgerissen auf seinen himmlischen Stall gerichtet.
Baudolino fuhr ihm sanft mit einer Hand über das Gesicht, denn was er jetzt noch sehen musste, sah er auch mit geschlossenen Augen. Dann machte er sich auf, um den Alexandrinern zu sagen, was geschehen war. Die Bürger der Stadt wollten, dass der große Alte ein feierliches Begräbnis mit allen Ehren bekam, denn schließlich war er es gewesen, der die Stadt gerettet hatte, und sie beschlossen, seine Statue über das Portal der Kathedrale zu setzen.
Baudolino ging noch einmal ins Haus seiner Eltern, um sich ein Andenken zu holen, denn er hatte beschlossen, nie wiederzukommen. Auf dem Boden sah er die hölzerne Trinkschale seines Vaters liegen und hob sie wie eine kostbare Reliquie auf. Er spülte sie sorgfältig ab, damit sie nicht mehr nach Wein roch, denn, so sagte er sich, wenn man eines Tages sagen würde, dies sei der Gradal, dannwürde sie nach all der Zeit, die seit dem Letzten Abendmahl vergangen war, nach nichts mehr riechen dürfen – außer vielleicht nach jenen Aromen, die im Glauben, dies sei der Wahre Kelch, sicherlich alle riechen würden. Er wickelte sie in seinen Mantel und nahm sie mit.
23. Kapitel
Baudolino
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