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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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es dunkel ist, können wir uns auf den Weg machen. Halten wir uns bereit.«
    Niketas, der gut gestärkt aufbrechen wollte, hatte Theophilos schon vor einiger Zeit gebeten, ein Monòkythron zuzubereiten, was einige Zeit in Anspruch nahm. Es war ein bronzener Topf voller Rind- und Schweinefleisch, zum Teil noch mit den Knochen, und phrygischem Kohl, triefend von Fett. Da nicht mehr viel Zeit für ein ausgedehntes Mahl blieb, legte der Logothet seine guten Manieren ab und fasste nicht nur mit drei Fingern, sondern mit vollen Händen in den Topf. Es war, als genösse er seine letzte Liebesnacht mit der Stadt, die er gleichermaßen als Jungfrau, als Hure und als Märtyrerin liebte. Baudolino hatte keinen Hunger mehr und begnügte sich damit, in kleinen Schlucken geharzten Wein zu trinken, denn wer konnte wissen, ob es den auch in Selymbria geben würde.
    Niketas fragte, ob in der angekündigten Reliquiengeschichte auch Zosimos vorkommen werde, aber Baudolino sagte, er ziehe es vor, der Reihe nach zu erzählen.
    »Nach den grässlichen Dingen, die wir in der Stadt hier gesehen hatten, kehrten wir auf dem Landweg zurück, weil wir nicht mehr genug Geld hatten, um die Schiffsreise zu bezahlen. Das Durcheinander jener Tage hatte Zosimos erlaubt, mit Hilfe eines seiner Eleven – die er freilich zurückließ – irgendwo Maultiere aufzutreiben. Während der Reise gab es dann mal eine Jagdpartie in einem Wald, mal nahmen uns die Klöster am Wege gastlich auf, und so gelangten wir schließlich zurück nach Venedig und von da wieder in die lombardische Ebene ...«
    »Und Zosimos hat nie zu fliehen versucht?«
    »Er konnte nicht. Die ganze Zeit, seit wir ihn gefasst hatten, auch nach unserer Rückkehr, auch am Hofe Friedrichs und sogar auf der Reise nach Jerusalem, die wir dann machten, insgesamt vier Jahre lang, war er in Fesseln geblieben. Beziehungsweise wenn wir ihn in unserer Mitte hatten, war er auf freiem Fuß, aber wenn wir ihn allein ließen, wurde er ans Bett gefesselt, an einen Pfahl, einen Baum, je nachdem, wo wir uns gerade befanden, und wenn wir ritten, war er so mit den Zügeln verbunden, dass, falls er abzusteigen versuchte, sein Pferd scheuen und mit ihm durchgehen würde. Da ich befürchtete, dass auch dies nicht genügte, um ihn an seine Pflichten zu erinnern, gab ich ihm jeden Abend vor dem Einschlafen eine Ohrfeige. Er wusste es immer schon und wartete darauf, bevor er einschlief, wie auf den mütterlichen Gutenachtkuss.«
     
    Während der Reise hatten unsere Freunde nicht aufgehört, Zosimos zu einer Rekonstruktion der Karte zu drängen, und er hatte guten Willen gezeigt, indem er sich jeden Tag an eine weitere Einzelheit erinnerte. Einmal ging er sogar daran, die wahren Entfernungen zu berechnen.
    »So über den Daumen gepeilt«, sagte er, wobei er die Wegstrecken mit dem Finger in den Straßenstaub zeichnete, »sind es von Tzinistan, dem Land der Seide, bis nach Persien hundertfünfzig Tagesmärsche, ganz Persien machtachtzig, von der persischen Grenze nach Seleukia dreizehn, von Seleukia nach Rom und dann ins Land der Iberer hundertfünfzig. Also von einem Ende der Welt zum anderen aufgerundet vierhundert Tagesmärsche, wenn du dreißig Meilen am Tag gehst. Sodann ist die Erde länger als breit – du wirst dich erinnern, dass es im Exodus heißt, der Tisch im Tabernaculum soll zwei Ellen lang und eine breit sein. Also kannst du von Norden nach Süden erstmal fünfzig Tagesmärsche in den nördlichen Regionen bis Konstantinopel rechnen, dann von Konstantinopel bis nach Alexandria in Ägypten weitere fünfzig und von Alexandria bis nach Äthiopien am Arabischen Golf siebzig Tage. Macht zusammen aufgerundet zweihundert Tage. Also wenn du von Konstantinopel zum äußersten Indien aufbrichst und dabei rechnest, dass du nicht immer geradeaus gehst und oft anhalten musst, um den Weg zu suchen, und wer weiß, wie oft du dabei zurückgehen musst – also ich würde sagen, da brauchst du bis zum Priester Johannes rund ein Jahr.«
    Was Reliquien anbelangte, wollte Kyot von Zosimos wissen, ob er schon mal vom Gradal gehört habe. Sicher, das habe er, sagte Zosimos, und zwar von den Galatern, die rings um Konstantinopel lebten, also von Leuten, die seit jeher die Erzählungen der ältesten Priester des äußersten Nordens kannten. Kyot fragte ihn weiter, ob er auch von jenem Feirefiz gehört habe, der den Gradal zum Priester Johannes gebracht haben soll, und Zosimos sagte, gewiss, auch von dem habe er schon gehört,

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